Mit "Anna Karenina" und "Giselle Rouge" waren bereits zwei Handlungsballette Eifmans an der Staats- bzw. Volksoper zu sehen, getanzt vom Wiener Staatsballett. Eine Gastspiel-Tournee brachte nun aber "sein Kind", wie er sein eigenes Ensemble nennt, nach Wien. 1977 hat der heute 69-Jährige die Kompanie gegründet, und mit ihr eine eigene Theaterform: "Psychologisches Ballett" nennt er seinen Stil, das "Theater der Gefühlsoffenbarung".

Nun eignet sich die Geschichte der leidenschaftlichen Beziehung zwischen dem großen französischen Bildhauer Auguste Rodin (1840-1917) und seiner weitaus jüngeren Muse und Geliebten Camille Claudel (1864-1943) nur allzu gut, um diverse seelische Zustände körpersprachlich zu erkunden. 2011 in St. Petersburg uraufgeführt, fokussiert der Zweiakter "Rodin" auf die für den Maler äußerst fruchtbaren und für Claudel zerstörerischen 13 gemeinsamen Jahre, verbrachte sie ihre letzten 30 Lebensjahre doch in einer psychiatrischen Anstalt.

Wobei Eifman bereits eingangs klarmacht, dass Claudel gut daran täte, dem egozentrischen Künstler aus dem Weg zu gehen: Die Knetmasse, an der sie wie besessen werkt, entreißt ihr Rodin ebenso schnell wie ihre Kleider. Wie schon zahlreiche Frauen vor ihr wird sie in seinem Atelier auf ein Podest gestellt und wird ihr nahezu nackter Körper exzessiv berührt, geformt, verbogen. Der Unterschied: Erst ihr perfekter Körper ist es, der Rodin wahrhaft zu inspirieren vermag und ihn die berühmtesten Skulpturen seiner Karriere schaffen lässt. Ihre eigenen künstlerischen Ambitionen weiß Rodin im Keim zu ersticken, wodurch Claudel nach und nach dem Wahn verfällt.

Eifman setzt das Geschehen zwischen Leidenschaft, Eifersucht und (Miss-)Erfolg zu Musik (vom Band) von französischen Komponisten dieser Zeit wie Debussy, Massenet und Satie, bedient sich an Elementen aus Film, Musical und Theater, setzt gezielt Showeffekte, Licht und Akustik ein und findet starke Bilder für Kreativität, Inspiration und Wahn: Rodins künstlerische Eingebungen am Essenstisch erscheinen unter Scheinwerferlicht hinter einer transparenten Wand, die immer wieder in der Bühnenmitte herabgelassen wird. Und lediglich mit hautfarbener Unterwäsche bedeckte Tänzer halten als lebensgroße Marmor- und Bronzeskulpturen her: In einer besonders imposanten Szene sind sechs von ihnen auf das drehbare Podest gekauert, und richtet sich unter Rodins Händen ein Adonis nach dem anderen auf.

Den starren Figuren setzt Eifman dynamische, rasante Schrittfolgen und sinnliche Duette entgegen. Fließend geht hier Liebe in Hass, Erotik in Gewalt, Trauer in Wahn über. Die Kompanie beeindruckt mit Perfektion, Tempo, Gelenkigkeit und Spiellust, wobei das gesamte Ensemble vor allem in fantasierten, furiosen Szenen zum Einsatz kommt, die Gefühlszustände visualisieren. Sind die Bewegungen von "Rodin" Oleg Gabyshev eher fließend, ist der Tanz von "Camille" Maria Abashova von ruckartigen, abgehakten Bewegungen geprägt. Zu ihrem wohl intensivsten Pas de deux stößt die ebenso ausdrucksstarke Natalia Povoroznyuk als Rodins aufopferungsvolle Lebenspartnerin Rose Beuret, woraufhin sich die Frauen mit weit aufgerissenen Mündern, Tritten und viel Körperkontakt den Kampf um den großen Künstler liefern.

Eifmans Stil ist keiner der Nuancen und Zwischentöne. Das bringt mit sich, dass ein Zuseher der Handlung auch ohne Vorwissen problemlos folgen kann. Wie hier aber Frauen von Beginn an überbordend hysterisch gezeichnet und die Insassinnen einer Irrenanstalt mit denselben Lumpen, zerzausten Haaren, labilen Grinsern und aufgerissenen Augen vorgeführt werden, kann und sollte man Eifman vorwerfen. Ihn rettet, dass er Rodin nicht verherrlicht, sondern klar die tragischen Schicksale vor Augen führt, die das rücksichtslose Verhalten des Künstlers auslöst. Seine Masche, Frauen zu umschmeicheln und dann - trotz vehementen Widerstands - für seine Kunst (und für Sex) zu benutzen, lässt in einer auf "Nein heißt Nein" sensibilisierten Zeit Assoziationen von sexuellen Übergriffen und Grenzüberschreitungen zu, und macht "Rodin" sehr heutig. Am Ende steht die Frage, ob die legendäre Kunst all das rechtfertigt. Ein intensives, bildgewaltiges Ballett bringt sie allemal mit sich.

(S E R V I C E - Eifman Ballet of St. Petersburg: "Rodin" am Wiener Burgtheater, Choreografie: Boris Eifman, Musik: Maurice Ravel, Camille Saint-Saens, Jules Massenet, Bühne: Zinovy Margolin, Kostüme: Olga Shaishmelashvili, Mit: Oleg Gabyshev, Maria Abashova, Natalia Povoroznyuk, Sergey Volobuev, Lilia Lishuk, Lyubov Andreyeva. Weiterer Termin: Montag, um 19.30 Uhr. Karten unter http://go.apa.at/iUySzsU0. www.eifmanballet.ru/en/)