"Ich spiele Leben" von Hansi Lang steht nicht auf der Playlist des Wunschkonzerts, das - moderiert von Ernst Grissemann - aus einem kleinen Radio in der mitten im brut Theatersaal aufgebauten 25 Quadratmeter-Garconniere tönt. Falcos "Out of the Dark" dagegen schon. Doch auch in der in Krakau erarbeiteten und nun in Wien gezeigten Version des "Wunschkonzerts" gibt es kein Happy End.
Abendroutine mit einem Knall
In dem 1973 uraufgeführten Monodram von Franz Xaver Kroetz sieht man einer alleinstehenden Frau, Fräulein Rasch genannt, etwas mehr als eine Stunde lang beim Leben zu. Sie kommt nach der Arbeit nach Hause, macht sich was zu essen, absolviert ihre Abendroutine - und bringt sich um. Wer das Ende weiß, schaut anders hin, sucht nach Zeichen, Hinweisen, Brüchen. In der Inszenierung von Yana Ross, die vor eineinhalb Jahren Premiere hatte, sind diese auch deutlich gesetzt. Ins Sinnieren kommt die Einsame erst, als das Thema Liebe und Lebensglück, Ein- und Zweisamkeit in schmalzigen Ansagen und ebensolchen Liedern als Gefühlskitsch aus dem Äther quillt.
Die 54-jährige Theater- und Filmschauspielerin Danuta Stenka ("Chopin - Sehnsucht nach Liebe", "Das Massaker von Katyn" u.a.) genießt in Polen Star-Status. Als Fräulein Rasch erscheint sie im Business-Outfit in ihrer Mini-Wohnung, wechselt rasch in den gemütlichen Jogger, wirft die Waschmaschine an (alle Geräte sind an Strom- bzw. Wasserkreislauf angeschlossen) und bereitet sich akribisch ihr Abendessen zu: eine geschälte Tomate, ein Stück Käse, zwei Stück Knäckebrot. Lebenslust sieht anders aus. Lebensmüdigkeit aber auch. Auch ein wenig Freizeitvergnügen gibt es. Bei Kroetz strickte Fräulein Rasch. Heute spielt sie "Die Sims". Und alle Zuschauer schauen der auf Automatik-Modus agierenden Frau beim virtuellen Familienleben zu.
Mitten im Publikum
Natürlich geht es in dieser Inszenierung, die noch bis Sonntag in Wien zu sehen ist, auch um Voyeurismus. Rund um das etwa fünf mal fünf Meter große Geviert können sich die Zuschauer frei bewegen, der Schauspielerin buchstäblich auf die Pelle rücken, ihr hautnah beim Klogang und beim Wimmerl Ausdrücken zusehen. Und bei ihren Zurüstungen zum Sterben. Die letzten Minuten der Aufführungen werden dicht und dramatisch, lassen den vorangegangen Abend als Auftakt-Geplänkel erscheinen.
Obwohl die Inszenierung auf Aus- statt auf Anspielen setzt, kann man sich der Intensität des Spiels nicht entziehen - zumal, wenn man als unsichtbarer Gast am Küchentisch steht und eigentlich nur die Hand ausstrecken müsste, um Einfluss auf das im Stücktext Unabwendbare zu nehmen. Fräulein Rasch kann nicht einschlafen, geht in ihre Küche und nimmt ein Schlafmittel. Das Tablettenröhrchen Rohypnol in der Hand kommt sie allmählich auf andere Gedanken. Langsam entfaltet sie den elendslangen Beipacktext. Und schlichtet die übrigen neun Filmtabletten zu einem hübschen Muster auf den fürs Frühstück bereitstehenden Teller. Bedächtig schluckt sie schließlich drei weitere Tabletten. Um die restlichen sechs hinunterzuspülen, holt sie eine angebrochene Flasche Prosecco aus dem Kühlschrank.
Schluss jetzt
Während der Zuschauer versucht, in ihrem Gesicht zu lesen, erwidert sie erstmals den Blick. Mit geweiteten Augen scheint sie erstmals die reale Umgebung in dem Saal wahrzunehmen. Sie blickt sich um. Doch alles ist getan. Schluss jetzt. Sie richtet ein letztes Mal ihr Bett. Und geht durch die imaginäre Wand ihrer Wohnung ab. Dazu wird ein leises, undefinierbares Geräusch eingespielt. Fräulein Rasch ist buchstäblich im Jenseits angekommen. Kurze Stille. Langer Applaus.
Von Wolfgang Huber-Lang/APA