Ein Terrorist kapert ein Flugzeug mit 164 Passagieren und steuert damit auf die Münchner Allianz-Arena zu, in der gerade 70.000 Fußballfans ein Länderspiel verfolgen. Der Bundeswehr-Pilot Lars Koch (Simon Jaritz als Bilderbuch-Soldat) schießt den Jet entgegen andeslautenden Befehlen ab und muss sich nun wegen 164-fachen Mordes vor Gericht verantworten. Soweit das Szenario, das dem Stück zugrunde liegt.

Ist es rechtens, das Leben von Wenigen zu opfern, um das von Vielen zu retten? Manchem erscheint das als zahlbarer Preis. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat die Frage allerdings mit "Nein" beantwortet und ein entsprechendes Gesetz gekippt. In Österreich müsste der Pilot aus der Situation heraus selbst entscheiden. Der Autor und Anwalt Ferdinand von Schirach macht den Zuschauer zum Schöffen, der sich in den Angeklagten hineinversetzen muss. Es im Nachhinein besser zu wissen, gilt da nicht. Man muss sich mit der Frage konfrontieren: "Wie weit darf man gehen, um eine freie Gesellschaft zu schützen?" und: "Was hätte ich gemacht?"

Nicht schuldig

Zu Beginn haben viele ihre Abstimmungskarte schon mit dem Abschnitt "nicht schuldig" nach oben in der Hand. Der den Richter (souverän: Alfred Rauch) nervende Verteidiger (Christian Lemperle) und die prinzipientreue Staatsanwältin (Lisa Schrammel) bringen immer wieder neue Facetten des Falls an die Oberfläche: Offenbar waren die Passagiere knapp davor, den Luftpiraten zu überwältigen - viele Kärtchen drehen doch auf "schuldig". Liefern die Verfassungsrichter uns mit ihrer Entscheidung nicht ungeschützt dem Terrorismus aus? - "Nicht schuldig". Wieso hat eigentlich niemand daran gedacht, das Stadion zu räumen? Zum Schluss dürfte so manches Kärtchen vom Drehen schon etwas zerknittert gewesen sein. Das Urteil des Premierenabends lautete jedenfalls Freispruch - wie auch bei den meisten Vorstellungen in Deutschland.

Regisseurin Heidelinde Leutgöb bewegt sich fernab von platten Gerichts-Soaps, ihre Inszenierung orientiert sich stark am wahren Gerichtsalltag - von den abgegriffenen rosa Aktenmappen bis hin zum akribischen Durchnummerieren von Dokumenten. Phasenweise glaubt man tatsächlich, man folge einer echten Verhandlung. Das Publikum honorierte einen spannenden Theaterabend mit viel Applaus, bevor es diskutierend das Gericht verließ. Schließlich ist zu befürchten, dass die Fragen aus "Terror" irgendwann irgendwo wieder von irgendjemandem unter Zeitdruck - richtig? - beantwortet werden müssen.

VERENA LEISS