Er könnte Geschichten erzählen, wie sie sonst keiner zu berichten weiß, sagtHelmut Berger seinem Regisseur. Aber der einstige Visconti-Star will sich nicht ausfragen lassen. Kein Schauspielerporträt, sondern eine Doku über die Unmöglichkeit, über Berger einen Film zu drehen, ist "Helmut Berger, Actor" geworden. Und er verlangte den Zusehern bei der heutigen Österreich-Premiere in Graz einiges ab.
Als "Enthauptung des Helmut Berger" hat dessen Manager die als Doku titulierte Produktion von Regisseur Andreas Horvath nach der Uraufführung bei den Filmfestspielen Venedig im Vorjahr bezeichnet. Und es ist wahrlich nicht ohne, was der einst schillernde Schauspielstar aus Luchino-Visconti-Filmen wie "Ludwig II." auf der Leinwand körperlich und emotional preisgibt - und was Horvath gnadenlos und hautnah einfängt. Keine Sekunde scheint der 71-jährige Berger Herr seiner Sinne, trinkt, flucht und masturbiert vor der Kamera, und formuliert in nächtlichen Telefonnachrichten an Horvath wirre Albträume und paranoide Gedanken, fantasiert sein einstiges Jetset-Leben zwischen Saint Tropez, Ibiza und Rom herbei.
Der tiefe Fall
Schon irritierende Auftritte bei Society-Events oder im RTL-"Dschungelcamp" haben den tiefen Fall des österreichischen Stars des europäischen Kinos der 50er- und 60er-Jahre erahnen lassen. Durch Horvaths Aufnahmen wird die Ahnung Gewissheit: Kaum noch verlässt Berger - meist im Bademantel, Pyjama oder halb nackt vor der Kamera - seine desolate Wohnung, in der sich Tabletten, Zigarettenstummel und Flaschen türmen und Mahnungen sowie die vor einem Jahr abgerissene, nie ersetzte Kücheneinrichtung auf finanzielle Probleme hindeuten.
Die einst glamouröse, von Reichtum, Affären und Drogen geprägte Vergangenheit aber ist omnipräsent, ist doch die Schlafzimmerwand mit Bildern von Brigitte Bardot zuplakatiert und lächeln längst tote Legenden wie Romy Schneider oder Bergers große Liebe Visconti von unzähligen eingerahmten Bildern. Er sei schwierig, weil er sein ganzes Leben mit schwierigen Menschen zu tun hatte, sagt er dann. "Das ist das Interessanteste an mir."
Der Zusatz "Schauspieler" im Filmtitel ist der Strohhalm, an dem sich der Zuseher festhält, um das Gesehene zu ertragen. Es bleibt unklar, was im Laufe dieser 90 Minuten gespielt und was echt ist, was Entertainment und was Wahnsinn. "I'm an actor", sagt Berger immerhin gleich anfangs schelmisch Richtung Kamera, als er mitten in der Masturbation kurz innehält, die Hand noch in der Pyjamahose. Am Ende des Films wird er noch einmal masturbieren, dabei hysterisch aufjaulen und mittendrin nur abbrechen, um seinen Regisseur wiederholt aufzufordern, zwecks Inspiration die Hose runterzulassen.
Die Ausbrüche
Der hinter der Kamera zumeist unsichtbare Andreas Horvath scheint neben der loyalen Haushälterin Viola Bergers einziger sozialer Kontakt im Laufe der Dreharbeiten. Und als solcher bekommt der Salzburger Filmemacher auch die gesamte Bandbreite von Bergers Ausbrüchen ab, wird wiederholt von seinem Protagonisten beschimpft, sexuell bedrängt und attackiert. Mehrfach kündigt Berger ihm in den wirren Telefonnachrichten, die Horvath mit mystischen Waldbildern und nervenaufreibender Musik unterlegt, die Zusammenarbeit. Wiederholt äußert er seine Angst vor dem "preisgeilen, langweiligen Dokumentarfilmer" - nur um ihm dann in einem Hotelzimmer seine Liebe zu gestehen: "Du musst jetzt mit etwas fertig werden. Ich habe mich in dich verliebt." Als Horvath ihm keinen Glauben schenkt, nennt Berger augenzwinkernd den Titel seines letzten Visconti-Films: "Gewalt und Leidenschaft".
Das sich zuspitzende Ringen um die Oberhand in diesem Szenario sorgte bei der vormittäglichen Vorführung im Grazer KIZ Royal für die meisten Lacher im Publikum. Fast befreiend schien es für die Zuschauer, als Horvath schließlich doch noch die Fassung verliert und dem handgreiflichen Berger im Morgengrauen in Saint Tropez ein "Don't hit me, you fucking asshole!" entgegenschleudert.
Beklemmung am Ende
Das Lachen aber, es bleibt einem immer wieder im Hals stecken. Weil Berger diese Bühne und Anerkennung nicht zu wollen, sondern sie zu brauchen scheint. Am Ende dominiert das beklemmende Gefühl, als Voyeur beizuwohnen, wie ein vereinsamter, gebrochener Mensch in seiner Suche nach Aufmerksamkeit und Nähe vorgeführt wird. "Ich habe die ganze Zeit nur eine Rolle gespielt und du hast es nicht gemerkt", lässt Berger Horvath gegen Ende wissen. Man wünscht sich und vor allem ihm, es wäre wahr.