Der Preis für das zerknittertste und kaputteste "Tatort"-Team geht ganz klar nach Dortmund. Das führt auch ihr sechster Fall "Schwerelos" vor. Nirgendwo sonst stellen die privaten Abgründe des Kripo-Quartetts unter dem pathologisch wütendem Peter Faber (Jörg Hartmann), der sich schon einmal mit „Ich bin's, das Arschloch“ vorstellt, ganze Mordermittlungen in den Schatten. Seit seinem ersten Auftritt sieht man ihm dabei zu, wie er Psychopharmaka schluckt oder Gegenstände zertrümmert, um die Trauer nach der Ermordung seiner Familie zu betäuben.
Die neue Zahmheit
Dieses Mal ist alles ein bisschen anders. Man könnte es auch die neue Zahmheit Fabers nennen. Denn eigentlich ist der Polizist im zerknautschten Parka fast der Entspannendste auf dem Kommissariat. Dieses Mal dürfen auch die Dramen seiner Kollegen den Fall zur Nebensache degradieren.
Das beginnt schon in der Eingangsszene: Kommissarin Martina Bönisch (Anna Schudt) klappert auf der Suche nach ihrem abgängigen Teenagersohn verzweifelt die Notaufnahmen der Krankenhäuser ab. Und stößt dabei auf einen schwerverletzten Banker, Familienvater und Fallschirmspringer, der vor dem Spital abgeladen wurde - von Unbekannten. Auch eine Möglichkeit, um an einen Fall zu kommen.
Der Mann, ein Banker mit Heile-Welt-Familie und schmuckem Häuschen im Vorstadt-Idyll, liegt im Koma. Sein Schirm wurde manipuliert. Er stirbt im Krankenhaus, nachdem die Maschinen wegen einer Patientenverfügung angehalten werden. Es sind zweieinhalb erdrückend bedrückende und selten gesehene Fernsehsterbeminuten, bis die Beatmungsmaschine endgültig still steht.
Und: In diesen Minuten wirkt der zerstörte Wüterich Faber zahm und zärtlich wie noch nie. Er bricht aus seinem sozial verwilderten Einzelgängerdasein aus, um sich um den Halbwaisen Martin zu kümmern, ihn vor dessen Heile-Trauer-Welt-Familie zu schützen. Ein Moment zum Nachdenken. Ein Moment mit Adrenalinpause. Ein Moment, in dem die Zuseher im vorhersehbaren Plot schon längst die Vorahnung plagt. War es sein Sohn, der den Schirm manipuliert hat?
Faber tröstet weiter. Die Witwe fragt ihn: "Diese Leere, hört das irgendwann wieder auf?" Er: "Nein. Aber man lernt, damit zu leben." Tränen, Umarmung.
Kontrollverlust als Gegenposition
Warum musste der Adrenalinjunkie sterben? Die Kripo ermittelt in der Basejumper-Szene und erfährt, dass des Opfers Mittel zum Ausbruch aus seiner doch nicht so heilen Welt Adrenalin war. Illegale Sprünge von Hochöfen, Felsen, Hochhäusern, Brücken. Kurze, unkontrollierte Momente als Gegenposition zum Druck in der Arbeitswelt. Freier Fall statt konstanter innerer Leere.
Dass das Runterspringen süchtig machen kann, erfährt auch eine aus dem "Kindergarten", wie Faber seine zwei Jungspunde Nora Dalay (Aylin Tezel) und Daniel Kossik (Stefan Konarske) gerne nennt. Oberkommissarin Dalay freundet sich mit der Clique des Verstorbenen an, springt mit einem zunächst in die Tiefe und dann ins Bett, blendet so ihre privaten Turbulenzen aus und darf endlich wieder lachen. Zuletzt sah ihr das "Tatort"-Publikum ja beim Schlussmachen mit Kollegen Kossik und dem Abtreiben des gemeinsamen Kindes zu.
Die neue Zärtlichkeit
Die Bilder auf das Ruhrgebiet und jenen Ort, an dem der FDP-Politiker Möllemann vor ein paar Jahren den Freitod wählte, auf Industriebauten und Leere sind zärtlicher als zuletzt, milder und wehmütiger. Nur in punkto politisch unkorrekter Dialoge ("Mann, Sind Sie Deutsch!")- da kann man sich auf Dortmund verlassen. Sonst bitte in Zukunft: Ein bisschen weniger von plakativem "Drama, Baby, Drama!"
Die Twitter-Kritik zum adrenalingetränkten Fall und den hormongebeutelten Ermittlern pendelt zwischen Abneigung, Anziehung und Anspielungen aufs Ruhrgebiet: