Frischer Wind für die deutsche Hauptstadt: Mit einem rasanten modernen Erzählstil und einem neuen Ermittlerteam soll die Metropole endlich den "Tatort" bekommen, der ihr gebührt. Die Schauspieler Meret Becker und Mark Waschke geben heute (20.15 Uhr, ORF 2) in der Folge "Tatort: Das Muli" ihr Debüt als Kommissare Nina Rubin und Robert Karow, die beiden sind die Nachfolger des langjährigen Berliner Duos Dominic Raacke und Boris Aljinovic als Kommissare Ritter und Stark. Ein besonders blutiger Mord führt die beiden Neuen auf die Spur eines Drogenrings, die Jagd nach dem Chef des kriminellen Kartells wird sich über mehrere Folgen erstrecken. Meret Becker kam 1969 in Bremen zur Welt, lebt aber seit früher Kindheit in Berlin. Die 46-Jährige stammt aus einer Künstlerfamilie – ihr Stiefvater war der Schauspieler Otto Sander, ihr Bruder ist der Filmstar Ben Becker.
Frau Becker, waren Sie gleich begeistert von dem Angebot, Kommissarin im Berliner "Tatort" zu werden?
BECKER: Also ein bisschen schlucken musste ich schon erst mal. Der "Tatort" ist etwas, wo man sich in eine Abhängigkeit begibt, mit seiner Unterschrift verpflichtet man sich ja zu Regelmäßigkeit. Das ist für mich sehr ungewohnt, da musste ich schon eine Weile darüber nachdenken, ob ich das wirklich machen möchte. Gleichzeitig ist das natürlich eine große Ehre, wenn man da mitspielen darf.
Was hat den Ausschlag gegeben, dass Sie sich dafür entschieden haben?
BECKER: Zum einen gefiel mir der Rollenentwurf sehr. Was auch mit reingespielt hat: Otto war gerade gestorben, also mein Vater Otto Sander. Dass das zeitgleich passiert ist, war, als würde er zu mir sagen: "Ja, mach mal."
Dem Vernehmen nach soll Ihnen ja auch Ihre Tochter zugeraten haben…
BECKER: Ja, sie habe ich auch gefragt, und sie hat gesagt: "Geil!" Sie ist ein kluges Mädchen und weiß, dass das eine große Sache ist, dass mit so einer Rolle auch bestimmte Türen aufgehen. Oder vielleicht auch nur, dass sie die Chance hat, dass das Taschengeld erhöht wird, keine Ahnung (lacht).
Haben Sie die Kommissarin Nina Rubin mitentwickelt?
BECKER: Es gab ein Gerüst, das schon vorhanden war, ich war ja die Wunschkandidatin und man hat die Rolle auf mich zugeschnitten. Dann habe ich eigene Ideen mitgebracht. Zum Beispiel habe ich gesagt: Ich hätte gerne, dass diese Frau eine Sexualität hat – ich finde es schade, wenn eine Kommissarin eine asexuelle Person ist, gerade auch, wenn sie wie Nina Rubin, Mutter ist.
Die krasse Eingangsszene des ersten Falls mit einem ziemlich deftigen Seitensprung der Kommissarin geht also auf Ihre Idee zurück?
BECKER: Interessanterweise wird diese Szene von vielen als schwierig empfunden. Wenn ein Mann so etwas heimlich macht, ist es so eine Art Kavaliersdelikt, gerade im Film. Bei einer Frau, die Mutter und Kommissarin ist, gilt es als moralisch verfänglicher. Das finde ich im Hinblick auf ein heutiges Frauenbild interessant und spannend.
Sie wollen mit Ihrer Ermittlerrolle also nicht nur unterhalten, sondern auch Ihre Ansichten transportieren?
BECKER: Auf jeden Fall, sonst würde ich das nicht spielen. Es geht um Menschen, und es geht auch um diese Stadt, die eine Vielschichtigkeit und Zerrissenheit mit sich bringt, so viele Möglichkeiten und Facetten, denen man allen gar nicht nachgehen kann. Man hinkt immer hinterher und ist in einer Sehnsuchtsposition. Und das finde ich erzählenswert.
Die Stadt Berlin als dritte Hauptfigur neben Ihnen als Nina Rubin und Mark Waschke als Kommissar Robert Karow?
BECKER: Einen anderen als den Berliner "Tatort" hätte ich nicht zugesagt. Es gibt keinen, der dieser Stadt nicht auch kritisch gegenübersteht, sie ist sehr anstrengend. Und man kann am Ende des Krimis nicht sagen: So, jetzt ist der Fall gelöst, jetzt ist alles wieder gut. So ist das ja nicht. Tot ist tot. Man kann Berlin nicht aufräumen. Die Unruhe bleibt, die Zerstörtheit bleibt. Das soll bei uns rüberkommen.
Nina Rubin ist Jüdin. War das Ihr Wunsch?
BECKER: Ich weiß nicht mehr, wie es zu dieser Idee kam und ob ich das war. Was mir daran gefällt: Das Judentum ist ein Teil unserer Stadt, genauso wie der Islam oder was auch immer – hier gibt es alle möglichen Menschen, und das wollen wir zeigen. Ich mag, dass es in der ersten Folge nicht großartig erklärt wird, sondern man kriegt es irgendwie mit, so ganz nebenbei. Es ist ganz normaler Alltag, und auf dem Kommissariat geht auch niemand irgendwie besonders mit ihr um.
Haben Sie sich in den Vertrag schreiben lassen, dass Sie als Kommissarin nie einen Verdächtigen fragen müssen, wo er zur Tatzeit war?
BECKER: Nein, das ginge ein bisschen weit, wenn ich so was Detailliertes in den Vertrag schreiben lassen wollte. Ich glaube, da werde ich auch nicht immer ganz drumherum kommen (lacht).
Werden Sie die Ausstrahlung zelebrieren?
BECKER: Das weiß ich noch nicht. Es ist auf jeden Fall immer sehr aufregend, wenn man bei einem Film weiß: Er läuft jetzt gerade, und alle gucken in diesem Moment zu. Das Aufregendste sind diese ganzen Kneipen, wo sonntags um 20.15 Uhr viele Menschen gemeinsam "Tatort" gucken wie sonst Fußball. Mein Kollege Mark Waschke und ich haben gesagt, vielleicht gehen wir aus Spaß an solchen Kneipen vorbei und gucken uns an, wie die Leute uns zuschauen.
Haben Sie Bammel vor der Aufmerksamkeit, die auf Sie zukommt?
BECKER: Ach, darüber mach ich mir nicht so viele Gedanken. Ich kontrolliere auch nicht wirklich, was geschrieben wird. Vieles ist ja auch so bescheuert. Ich versuche, das etwas von mir zu weisen, weil das die Mühe, die man in bestimmte Arbeiten steckt, stört. Was ich manchmal deprimierend finde: Man hat in seinem Leben mit tollen Fotografen Tausende von schönen, professionellen Fotos gemacht, und dann guckt man im Internet und da ist ein Foto beknackter als das andere, weil irgendeiner einen mit dem Handy knipst, wenn man gerade ungeschminkt ist und die Augen zu hat, und das hochlädt. Das ist schade.
Sind Sie selber eigentlich auch vom "Tatort"-Fieber angesteckt?
BECKER: Ich gucke nicht regelmäßig, sondern per Zufall. Wenn Regisseur Dominik Graf einen macht, dann gucke ich auf jeden Fall, und ich bleibe hängen, wenn Freunde und Kollegen mitspielen. Und ansonsten kommt es darauf an, dass es ein guter Film ist. Ich finde manche spannender, andere haben es nicht so drauf. Aber ich nenne jetzt keinen Namen, ich bin ja nicht wahnsinnig.
Wie fanden Sie die Berliner "Tatorte" mit Ihren Vorgängern?
BECKER:Ich habe nicht so viele davon gesehen. Die Folge "Gegen den Kopf" über U-Bahn-Schläger fand ich toll, sehr aktuell. Aber da kam mir die Stadt zu kurz, das hat mich genervt – das hätte auch auf dem Land spielen können.
INTERVIEW: CORNELIA WYSTRICHOWSKI
Der ORF-Trailer zum "Tatort - Das Muli":