Der Eurovision Song Contest war für die Franzosen in den letzten Jahren kaum von Interesse, so blieben auch die Einschaltquoten bescheiden. Nun ist aber über den Beitrag für Wien eine Polemik entstanden, an der sich die großen seriösen Radiostationen France Inter und France Culture sowie Tageszeitungsinstitutionen wie "Le Figaro" beteiligen. Die Franzosen sind sich nur über eines einig: Schlechter als 2014 können sie nicht abschneiden. Da landete die Grande Nation mit der Spaßnummer "Moustache, Moustache" ("Schnurrbart, Schnurrbart") auf dem letzten Platz.

Streipunkte Botschaft und Stil

Die Kontroverse begründet sich nicht im Umstand, dass der öffentlich-rechtliche Sender France 2 nach dem ORF-Vorbild Conchita Wurst auf einen Vorentscheid mit Publikumswahl verzichtet hat. Streitpunkt sind Botschaft und Stil des Chansons "N’oubliez pas" ("Vergesst nicht"). Besungen werden nämlich Angreifer, die über die Tränen der anderen gelacht haben, und andere Kriegsgräuel, die nicht vergessen werden dürfen. Mit Hoffnungsversprechen und Schwüren auf ein besseres, schöneres Morgen inmitten der Ruinen am Schluss.

Lisa Angell (46) stammt aus Paris
Lisa Angell (46) stammt aus Paris © KK

Nach den Attentaten in Paris werden France 2 damit peinliches Kalkül und ärgerliche Plattitüden für das europaweite Wettsingen vorgeworfen. Dessen Unterhaltungschefin, Nathalie André, musste reagieren: "Durch die tragischen Ereignisse im Jänner bekommt der Text zweifellos eine zusätzliche Bedeutung. Entstanden ist er aber bereits im Herbst 2014 für eine Veranstaltung in Gedenken an den Ersten Weltkrieg. Ich habe mich für diesen Song entschieden, weil er eine universelle Friedensbotschaft vermittelt und unter die Haut geht. Wir werden intensiv an der szenischen Umsetzung für die Bühne in Wien arbeiten", erklärt André. Lisa Angell (46) sei zudem eine würdige Interpretin. Die Pariserin, die über eine berührende Stimme verfügt, hat zwar schon drei Alben veröffentlicht, war aber bis dato keine Hitparadenstürmerin.

Musikalisch repräsentiere der Titel nicht das moderne Frankreich, monieren die Kritiker zusätzlich, er sei altbacken, aus der Zeit geworfen und habe schon Schimmel angesetzt. Eingängig ist die Melodie allemal. Und eben in der Tradition eines Chansons – aus der Feder von Robert Goldman, Bruder des nach jüngsten Umfragen beliebtesten Franzosen, dem Sänger und Komponisten Jean-Jacques Goldman. Robert hatte schon einmal Erfolg beim Eurovision Song Contest: 2001 erreichte "Je n'ai que mon âme" ("Ich habe nur meine Seele") in der Interpretation von Natasha Saint-Pier den vierten Platz.

"Kindheitstraum" für Angell

Der letzte Sieg Frankreichs reicht indes ins Jahr 1977 zurück ("L’oiseau et l’enfant"/"Der Vogel und das Kind" von Marie Myriam). Sängerin Lisa Angell gesteht: "Für mich ist es jetzt schon wie ein Euromillionen-Gewinn, am Song Contest teilnehmen zu dürfen. Ein Kindheitstraum wird wahr. Mein Chanson mag altmodisch sein, aber es ist für ein Land immer wieder wichtig, zu seinen kulturellen Wurzeln zurückzukehren."