Sie hat abgetrieben und der Angriff der Nazis trifft sie an ihrem wundesten Punkt: mit nicht abwaschbarer Farbe markiert ein rechtes Rudel ihren Bauch mit einem schwarzen Hakenkreuz. Davor hatte ihr einer mit Stahlkugeln das Fenster eingeschossen, sie gedemütigt, geschlagen und mit einem Messer bedroht. Und dabei die Handykamera draufgehalten. Der Fall in der rechten Dortmunder Szene geht der türkischstämmigen Kommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel) an die Nieren. Diese eindringliche Szene symbolisiert die Machtlosigkeit und Ausgeliefertheit gegenüber Hass und Gewalt.
Ein bisschen Borderline, ein bisschen Härte
"Hydra" ist der fünfte Fall aus Dortmund, alle Teile stammen, das hat Seltenheitswert beim Krimiklassiker, aus der Feder von einem Drehbuchautor - Jürgen Werner. Dass er die Figuren so langsam und sorgfältig zeichnen konnte, erhöht ihre Sperrigkeit im positiven Sinne. Ein bisschen Depression, ein bisschen Borderline, ein bisschen Psychologie, ein bisschen Härte und Sarkasmus. Und dazu ein realer Hintergrund.
Dass Dortmund Dorstfeld als Nazi-Hochburg in Westdeutschland gilt und Regisseurin Nicole Weegman wegen des Drehs bedroht wurde, erhöht die Authentizität des Themas. Bildgewaltig, im Dokumentarstil erzählt sie die Geschichte von Kai Fischer, der Kopf einer nationalsozialistischen Truppe wird tot aufgefunden. Verdächtigt werden viele: seine schwangere Freundin und Kindergärtnerin, eine Jüdin, die ihren Mann und ihr ungeborgenes Kind nach einer Attacke der Rechten verlor, der Bruder von Kommissar Daniel Kossik (Stefan Konarske) - gespielt von Robert Stadlober.
Außensicht, Innensicht
Das Beamten-Quartett muss in alle Richtungen ermitteln - nach außen und auch nach innen. Der "Tatort" aus Dortmund leuchtet die Neonazi-Szene aus: die offen gelebte mit Glatze und Baseballschläger, die fanbasierte Hooligan-Gemeinde, die bürgerlich getarnte mit Karohemd, Germanistik-Studium und Seitenscheitel. Rassismus und seine offenen, schleichenden und mitläuferischen Spielarten.
Die Ermittler sind ganz schön gefordert, dabei sind alle doch wie gehabt eigentlich vordergründig mit sich und ihrem nicht (mehr) existenten Privatenleben beschäftigt. Das fabelhafte an Faber (Jörg Hartmanns) und seinem Team: seine Spielchen, sein Blick in die Abgründe und seine Grausamkeit, mit denen er Kolleginnen und Kollegen alleine lässt. Faber spielt mit seiner jungen Kollegin "Good Cop, Bad Cop" auf mindestens Level drei, vermasselt seiner anderen Kollegin Martina Böhnisch (Anna Schudt) einen One-Night-Stand an der Hotelbar und suspendiert Kommissar Kossik vom Dienst. Alles dient der Wahrheitsfindung, darauf müssen seine Mitarbeiter aber erst von selber kommen.
Freunde macht er sich mit seiner unsentimentalen Art nicht. Aber das ist, bei allzu freizügig verteilter Empathie und Moralkeulen-Anfällen unter Tatort-Kommissaren, ein erfreulich erfrischender Zugang. Und über peinlich ausgelutschte oder überfrachtet Dialogszenen sieht man ob der fabelhaft desolaten Figurenzeichnung gerne ab.