Er "wünscht sich, durch das Tor unten bald hinausgehen zu können, weg von den Verunglückten, den Hinfälligen und Moribunden. Ich sage dir: Steh auf und geh! Es ist dir kein Knochen gebrochen!" So andeutungsreich und geheimnisvoll wie das Ende ist die gesamte Erzählung "Das dreißigste Jahr" von Ingeborg Bachmann.
Videoprojektionen. Das Ende der Erzählung ist zugleich Anfang eines neuen Stücks, das vom Theater ASOU in der Freien Bühne Kärnten uraufgeführt wurde. Robert Riedl und Schauspieler Gernot Rieger entwickelten es gemeinsam, aus Interviews und Improvisationen. Gernot Rieger tritt selbdritt auf, möglich durch Videoprojektionen. Eine davon suggeriert Ertrinken, das sich leitmotivisch durch das Stück zieht. Man sieht dem Akteur auf der Großleinwand ins Gesicht, das mehr und mehr von Wasser bedeckt wird, in unaufgeregter, still-schöner Weise, nur das Flattern der Augenlider als Aufruhr.
Innenschau. Pointe am Anfang ist, dass der Schauspieler mit Gips nicht wirklich kräftig auftritt und dann nach einigen Dialogen mit seinen Alter egos, die ihn immer wieder ins Gespräch ziehen, auch den Gips auszieht. Rieger schlüpft in neue und alte Rollen, spielt und wirkt wirklich in der sich am Beginn ein wenig verstörend, ganz im Bachmann'schen Sinn, entwickelten Innenschau, mit Verzweiflungen und Anflügen von Größenwahn.
Hin und Her der Stimmen. Vor allem der zweite Teil des Stücks ist beeindruckend, wenn sich der Zuseher in dem Hin und Her der Stimmen zurechtzufinden beginnt. Dann dreht sich der Tanz um sich selber abgrundtief, das Ich wird von Schuld und Verantwortung überwälzt, windet sich und: steht auf und geht. Kein Knochen gebrochen. Zurück bleibt ein von Fragezeichen umkränzter Kopf und die Idee, in Bachmann nachzulesen. Womit ASOU erreicht hat, was es wollte. Damit der Vorsatz nicht vergessen wird, kann man beim Hinausgehen ein Bachmann-Zitat-Leiberl kaufen. In Gipsweiß.
BARBARA EINHAUER