Dass es auch anders geht, zeigte Samstagabend bei der 55. Ausgabe des Grand Prix vor allem die charmante Überraschungssiegerin Lena Meyer-Landrut. Die 19-Jährige verwies mit dem fröhlichen Popsong "Satellite" pathetische Balladen und aufwändige Bühnenshows auf die hinteren Plätze und verhalf Deutschland erstmals nach 28 Jahren wieder zum Sieg.

Drei Backgroundsängerinnen, fernab von Scheinwerfern im hinteren Teil der Bühne versteckt, bildeten das einzige Showelement, das die von Stefan Raab geförderte Hannoveranerin auf der riesigen Bühne in der Osloer Telenor-Arena unterstützte. Damit passte sie so gar nicht in das Bild des 55. Grand Prix. Gegen Trends wie Balletttänzer, LED-beleuchtete Musikinstrumente und barfuß voller Inbrunst singende Celine-Dion-Kopien anzukommen schien schwierig. Nach dem Vorjahressieg des norwegischen Geigers Alexander Rybak verzichteten einzelne Künstler jedoch bewusst auf Showeffekte. Insgesamt zehn Länder hatten dafür Geigen in ihre Show eingebaut, nur drei von ihnen schafften es schlussendlich ins Finale. Auf Gitarre statt Geige setzte hingegen der Belgier Tom Dice, der mit seinem soliden Folksong "Me and my guitar" einen der Höhepunkte der Show darstellte - und das ganz ohne Bühnenshow oder Backgroundsängern. Der 20-Jährige erreichte schließlich den sechsten Platz.

Die ersten fünf Platzierungen könnten unterschiedlicher nicht sein. So fuhr die türkische Rockband maNga nicht nur mit in Latex gekleideten Tänzerinnen und riesigen Verstärkern auf, sondern ließ zusätzlich Roboterfrauen Feuer speien. Der Song "We could be the same" ist nach dem ersten Mal Hören zwar wieder vergessen, die etwas ältere Version von Tokio Hotel bleibt aber allein optisch im Gedächtnis. Statt Robotern kam bei dem für Rumänien antretenden Paar Paula Selling und Ovi ein blau erleuchtetes, nach beiden Seiten ausgerichtetes E-Piano zum Einsatz. Sich stets mit lüsternen Blicken fixierend, sangen sie sich mit dem durchaus ohrwurmtauglichen "Playing with fire" auf den dritten Rang. Auf ein Duo setzte auch Dänemark, das mit "In a moment like this" ein typisches Eurovision-Lied ins Rennen schickte. Dass der platte Song, der wie eine schlecht zusammengestoppelte Mischung aus "Every Breath you take" von The Police und einem beliebigen ABBA-Hit klingt, den vierten Platz erklomm, ist zwar erschreckend, aber keineswegs verwunderlich.

Es sollte jedoch der einzige "Grand-Prix-Klassiker" bleiben, der es in die Spitzengruppe schaffte. Weder Balladen noch Europop-Nummern konnten heuer punkten. Überraschend auf den fünften Platz verwiesen wurde die zuvor als Favoritin gehandelte Sängerin Safura aus Aserbaidschan; dabei hatte sie sich extra den Choreographen von Chartsstürmerin Beyoncé ins Team geholt. Aber große Namen, aufwändige Bühnenshows und geballte Emotionen machen es am Ende eben doch nicht aus. Schlussendlich gewinnt jener Künstler, der von allen Punkte bekommt. Und das hat Lena mit nur zwei Ausnahmen von 39 stimmberechtigten Ländern geschafft.

Vielleicht ist sie das richtige Vorbild für Österreich, das heuer zum dritten Mal in Folge auf eine Teilnahme verzichtet hat. Dabei kommt man bereits mit Charme, Natürlichkeit und einem hilflos wirkenden Tanzstil nach oben. Norwegen hat gezeigt, dass Songcontest auch Spaß machen kann. Da rieselt zwar künstlicher Schnee von der Decke, Flitzer mischen sich zwischen Clowns auf die Bühne, Sängern wachsen plötzlich Schmetterlingsflügel aus dem Rücken und ein Marillenbaum entspringt aus einem Stein; aber ein bisschen Kopfschütteln und Schmunzeln gehören dazu, ebenso wie das Verlieren. Das wissen auch die Briten, die zum dritten Mal innerhalb von acht Jahre auf dem letzten Platz landeten. Seinen Songtitel "That sounds good to me" will der junge Brite Josh Dubovie vermutlich zurücknehmen.

Warum Österreich dennoch wieder teilnehmen sollte? Neben der Fußball-Europameisterschaft ist der Songcontest die einzige Gelegenheit, bei der der gesamte Kontinent für kurze Zeit gemeinsam feiert. Und es ist die vermutlich einzige Chance für Österreich, besser als Deutschland abzuschneiden.