Jetzt hat er ihn geholt, der große schwarze Vogel. Ludwig Hirsch ist ihm ein Stück entgegengegangen. Einer, der sein Leben stets selbst bestimmt hat, ließ sich das auch im Tod nicht nehmen. In der Nacht auf Donnerstag ist der 65 Jahre alte Sänger und Schauspieler unter einem Fenster im Wiener Wilhelminenspital tot aufgefunden worden. Die Polizei geht von Selbstmord aus.

Wenngleich sie in Dunkelgrau gehalten war, war es eine unauslöschliche Leuchtspur, die dieser warmherzige Moritatensänger mit der sanften Stimme durch die österreichische Musiklandschaft gezogen hat. Und es war die urösterreichische Seele mit all ihren Verwerfungen und Verhärtungen, in die der junge Liedermacher Ende der 70er-Jahre eingetaucht ist, um aus ihr fette Geschwüre zu schneiden. Mit seinen "Dunkelgrauen Liedern" (1978) streute Hirsch Salz in offene Wunden - und die Nation schrie laut "Auh!" Er sang über den faschistischen Mief im Land, über Behindertenquälerei und Ausländerhetze, über grausame Großmütter und böse Clowns. Und er sang davon, dass er in einem Sarg auf dem Rücken liegt und mit zugemachten Augen in die Finsternis stiert. Damit konnten die Österreicher, dieses Volk der lustvollen Pomfineberer, schon mehr anfangen. Das wurmstichige Lied wurde Kult, und das Morbide blieb an Hirsch hängen. Wobei viele Hörer Todesnähe mit Todessehnsucht verwechselten. Letztere holte den Schwerkranken erst ganz am Ende seines Weges ein.

In Würde sterben

Die Freiheit, in Würde sterben zu dürfen, war auch berührendes Thema von Hirschs zweiter Platte. "Komm, großer schwarzer Vogel" geriet zum kleinen Skandal, weil es als Anleitung zum Selbstmord gesehen wurde. "Ich werde Ihnen schildern, wie das Lied entstanden ist", erzählte mir Ludwig Hirsch vor rund einem Jahr. "Eine liebe Freundin war nach einem Unfall ab dem Hals gelähmt, hing an tausend Schläuchen. Und irgendwann hat sie versucht, sich diese Schläuche mit dem Mund aus dem Leib zu ziehen."

Die erfolgreiche Karriere als Musiker und mehr als 20 Platten lassen den Schauspieler Ludwig Hirsch fast in den Hintergrund treten. Geboren am 28. Februar 1946 in Hartberg, wo er immer wieder in sein stilles Refugium in Form eines alten Bauernhofes zurückkehrte, absolvierte Hirsch zunächst ein Grafikstudium, besuchte dann die Schauspielschule und wurde nach Engagements in Deutschland 1975 zum Ensemblemitglied in der Wiener Josefstadt. Dem Theater kehrte er nie gänzlich den Rücken, zuletzt spielte er in Tschechows Untergangskomödie "Der Kirschgarten".

Wer das Glück hatte, diesen unaufgeregten Künstler kennenzulernen, durfte sich an der Gegenwart eines Menschen erfreuen, der etwas ausstrahlte, das in unserer egomanischen Ellbogengesellschaft selten geworden ist: Zärtlichkeit. Im Ton, im Blick, im Umgang mit seinem Gegenüber. Ludwig Hirsch, den die mediale Vereinfachung mit dem Etikett "Totenvogel" versehen hat, ist nicht an den Widrigkeiten des Lebens zerbrochen. Er hat ihnen bis zuletzt ein zartes Lächeln entgegengesetzt. "Die Menschen einlullen und ihnen dann ein bissl in den Hintern zwicken, das mache ich schon gerne."

"Komm, großer schwarzer Vogel, breite deine Flügel aus. . ." Sie sind jetzt ausgebreitet. Ganz weit.