Katie Mitchell hat sich in ihrer Heimat Großbritannien einen Namen als Theaterregisseurin gemacht. Sie hat auch bereits mehrfach auf dem Kontinent inszeniert, unter anderem in Köln. Ihre neueste Arbeit, die Dramatisierung von Friederike Mayröckers avantgardistischer Erzählung "Reise durch die Nacht" aus 1984, wurde in der Halle Kalk, einer Werkstattbühne des Schauspiels Köln, uraufgeführt.
Der Text der Wienerin Mayröcker ist vielschichtig. Die "Reise durch die Nacht" ist sowohl wörtlich zu nehmen - eine Zugreise von Paris nach Wien - als auch metaphorisch. "Reise" bedeutet Leben, aber auch eine Bewegung von außen nach innen; mit "Nacht" ist das unzureichende menschliche Bewusstsein gemeint wie die Aussicht auf die finale Katastrophe, den Tod. Mayröckers Heldin, die autobiografische Züge trägt, leidet an einer schweren Depression, von der sie sich durch Schreiben, durch genaues Notieren ihrer inneren Vorgänge, Rechenschaft abzulegen versucht, mutmaßlich mit dem Ziel, sich zu heilen.
Katie Mitchell rückt ihren Versuch, die wechselseitige Durchdringung von Außen und Innen sichtbar zu machen, in den Mittelpunkt ihrer Inszenierung. Bühnenbildner Alex Eales hat die cinemascope-breite Bühne in der Halle Kalk zweigeteilt. Unten sind Waggons des Paris-Wien-Nachtexpresses sichtbar, oben können auf eine weiße Wand Filme und Videos projiziert werden. Grant Gee sorgt für vorproduziertes Material - ein Zug fährt durch die Nacht - und sechs Kameraleute für Videoaufnahmen vom Geschehen auf der Bühne. Werden die Aufnahmen überblendet, wird der Vorgang der Vermischung von Innen und Außen in der Erzählung auf der Bühne anschaulich sichtbar.
Friederike Mayröcker nutzt literarische Mittel der Wiener Schule wie ihre Schriftstellerkollegin, die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. Aber Jelinek wählt brisante, gesellschaftskritische Sujets. Mayröcker bleibt hinter diesen bereits erreichten Standards zurück, wenn sie sich auf das Private beschränkt.