Perfekte Performance, 290 Punkte, Sieg beim Song Contest. Haben Sie das schon realisiert?
CONCHITA WURST: Nicht wirklich, obwohl ich so lange darauf hingearbeitet habe. Ich musste meinen Manager René Berto mehrmals fragen: Habe ich gewonnen? Sag's mir!
Wie geht's Ihnen jetzt dabei?
WURST: Ich habe fast während der gesamten Punktevergabe nur geweint. Und werde weiterhin machen, was ich bisher gemacht habe - und alles mitnehmen, was mir gegeben wird, und sehen, wohin der Weg führt.
Was hat letztlich zum Sieg geführt? Die Figur oder der Song?
WURST: Beides. Es ist ein Gesamtpaket. Ohne das Lied hätte ich nicht gewonnen. Ich habe damit Emotionen hervorgerufen, die mir zum Sieg verholfen haben. Am Ende des Tages ist es ein musikalischer Wettbewerb - ohne Song kein Sieg. Natürlich ist der Bart dazu da, Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich möchte die Geschlechter vermischen. Schließlich haben viele Frauen etwas Männliches und viele Männer etwas Weibliches. Und jeder sollte akzeptiert werden, wie er ist. Und sein Leben so gestalten, wie er möchte, und sich dabei treu bleiben.
War es ein Sieg für Österreich?
WURST: Toleranz kennt keine Grenzen. Dieser Sieg steht für Toleranz, Freiheit und Liebe. Europa hat sich dafür ausgesprochen. Ein Zeichen für die Zukunft. Ich bin nur eine Lady mit einem Bart, die keinem wehtut, die aber eben eine Lady mit Bart sein will. Und ich muss sagen, ohne dass das abgehoben wirken soll: Natürlich repräsentiert jeder der 26 Teilnehmer sein Land. Aber es sind auch für jeden von uns seine drei Minuten. Im Grunde habe aber nicht nur ich diesen Preis gewonnen, sondern ganz viele Menschen in Europa. Die Trophäe steht für Akzeptanz und Respekt.
Gab es zwischen Ihren Auftritten im Semifinale und im Finale einen großen Unterschied?
WURST: Ich war beim Finale weniger nervös. Das Semifinale war emotional viel anstrengender, weil ich alles zu verlieren hatte. Beim Finale wusste ich: Ich nehme, was kommt!
Wo soll der Song Contest 2015 stattfinden? In Wien oder für Sie als Steirerin in Graz?
WURST: Ich habe keine Ahnung. Vielleicht bauen wir ja ein Kolosseum im Ausseerland.
Aber Sie wollen den österreichischen Song Contest nächstes Jahr auf jeden Fall moderieren.
WURST: Ja, das habe ich geschickt bei der Pressekonferenz in Anwesenheit von ORF-General Alexander Wrabetz und Fernsehdirektorin Kathi Zechner untergebracht. Jetzt können sie fast nicht mehr Nein sagen. Das wäre jetzt peinlich vor allen, wenn sie sagen würden: Das darfst du nicht!
Es wäre ja auch denkbar, dass Sie Österreich 2015 als Tom Neuwirth vertreten.
WURST: Nein. Ich sage doch dauernd: Tom ist ein unsagbar fauler Bub, der würde zur Hälfte der Proben nicht erscheinen! Außerdem haben wir so viele tolle Künstler in Österreich, die mitmachen wollen. Ich hatte meine Chance.
Kurz zur Geschichte der Figur: Wann wurde Frau Wurst geboren?
WURST: Sie war schon immer irgendwie da. Auf dem Großteil meiner Kinderfotos trage ich Frauenkleider. Eine große Überraschung war der Weg zu Frau Wurst also nicht. Sie hat dennoch Zeit gebraucht, sich zu entwickeln - und wäre 2012, als ich schon einmal zum Song Contest wollte, vielleicht noch nicht so weit gewesen.
Aus 13 Ländern gab es zwölf Punkte, sogar aus Russland, wo Sie von staatlicher Seite angefeindet wurden, kamen fünf Punkte. Eine Genugtuung?
WURST: Es freut mich insofern, als es bestätigt, dass Toleranz nicht von einer Regierung abhängig ist - es gibt dort Menschen, die so denken wie ich, obwohl sie es sicher schwerer haben als ich. Entscheidungen, die eine Regierung trifft, sind noch lange nicht repräsentativ für ein Land. Darauf habe ich auch vertraut.
Könnte man das als Botschaft der Russen an Putin verstehen?
WURST: Ich weiß ja gar nicht, ob er zugeschaut hat. Aber er soll ruhig wissen: Wir sind nicht aufzuhalten! Und wir haben jetzt leider keine Zeit, uns mit negativen Kommentaren zu beschäftigen.
Der nächste Schritt?
WURST: Ein Grammy (größter US-Musikpreis, Anm.). Aber wer weiß, was da noch davor kommt?
INTERVIEW: CHRISTIAN UDE