Wie in jeder Aschenbrödel-Rezeption triumphiert auch in Gioacchino Rossinis „Cenerentola“ Bescheidenheit über Eitelkeit und Egoismus. Aber Märchen schreiben nicht nur einen Regelkanon fest, sie geben ihren Heldinnen und Helden auch Handlungsspielraum in der Not, und so erleben wir an der Oper Graz ein Aschenputtel, das rebelliert. Ein zorniges und sehnsüchtiges Mädchen, das sich nicht in eine zugewiesene Rolle fügen, sich weder Schönheitsdiktaten noch Weiblichkeitsklischees unterordnen will, sondern von einem Partner nichts weniger als „rispetto, amor, bontà“ einfordert.
Rossinis Meisterwerk ist eine turbulente Komödie mit nachdenklichen Zügen. Dirigent Marius Burkert und die Grazer Philharmoniker setzen sie musikalisch mit Energie und Lockerheit um. Ernst und Heiterkeit, Commedia-Tradition und Innerlichkeit entfalten sich aufs Schönste mit Schwung, gebotener Innigkeit, markanten Akzentem und allenfalls drängender Dramatik. Regisseurin Ilaria Lanzino holt das Stück in die Zeit, ohne der Oper Gewalt anzutun. Sie verleiht Titelfigur und Plot eine unverkrampfte Aktualität; die Handlung geht fast durchwegs rasant dahin, glaubwürdig und berührend bildet sie eine organische Einheit mit der Musik.
Zusammen mit Ausstatterin Dorota Karolczak stellt Lanzino die herbe Angelina mitten in eine knallbunte Disney-Märchenwelt, wo es von Konkurrentinnen um den Prinzen nur so wimmelt, ein vergnüglicher Reigen der Schönen von Schneewittchen, Rotkäppchen und Rapunzel bis zu Tinkerbell und Jasmin. Von Stiefvater und -schwestern entrechtet und ausgenützt, aber voll Verlangen nach Liebe und Anerkennung findet Cenerentola in dem überforderten Ramiro eine verwandte Seele. Gemeinsam führen sie ihre Umgebung mit all den langlockigen Pseudoprinzen, die im bedrohlichen Diskowald zu Wölfen mutieren, mit ihren Shopping Queens und Möchtegernprinzessinnen hinters Licht. Das sorgt für Irritation und ist nicht ungefährlich, aber es gibt den (unvermutet) passenden Schuh, ein (gegen den Strich gebürstetes) Happy End und eine neue Weltordnung.
Punktgenau
Als Cenerentola brilliert Anna Brull. Sie überzeugt schauspielerisch und mit warmer, flexibler Stimme. Überraschend und bezaubernd ist gleich der Beginn, als Cenerentola in ihrem Jugendzimmer mit Kopfhörern und Mikro von ihrem eigenen Märchen träumt. Verständnis findet sie beim sanften Prinzen Ramiro, für den Pablo Martínez einen sicheren, hellen Tenor mitbringt. Als Froschkönig hat Ivan Oreščanin alle Sympathie auf seiner Seite. Souverän gestaltet Wilfried Zelinka den eingebildeten Trunkenbold Don Magnifico. Seine verwöhnten Töchter werden von Sofia Vinnik und Ekaterina Solunya solide verkörpert. Mit schön geführter Stimme punktet Daeho Kim, der allzu selbstsichere Herr über die Märchenwelt.
Dem Publikum machten die punktgenaue, intelligente Inszenierung, die phantasievolle Ausstattung und nicht zuletzt die schwungvolle musikalische Ausführung sichtlich Vergnügen, es applaudierte mit einhelliger Begeisterung.
Beate Frakele