Die Gewichte haben sich verschoben. Heute ist Graz, wie es in den lokalen Medien heißt, die heimliche Fußballhauptstadt; damals, in den frühen Sechzigern, war die Murmetropole die unheimliche Hauptstadt der Literatur. Peter Handke studierte Jus, war laut Überlieferung der Lehrenden einer der Besten seines Jahrgangs, aber die Hingabe galt weniger der Rechtswissenschaft, als vielmehr der Literatur. Ihr verschrieb er sich. Franz Kafka war die Brücke zwischen beiden Welten. Als eine Studentenzeitung einen Text von ihm ablehnte, zürnte er: „Man wird von mir noch hören“. In den Hörsälen und am Studiertisch überfiel ihn eine „Alleinmüdigkeit“.
Lieber ging er ins Geidorf Kino, zu Lesungen im Forum Stadtpark, legte sich in Warteschlangen mit der Polizei an, schrieb Beatles-Feuilletons fürs Landesstudio, tippte im Forum-Keller auf fremden Schreibmaschinen an der Reinschrift des Romanerstlings „Hornissen“, schrieb der Mutter Briefe heim nach Griffen, schnitt in der Freizeit im Kastner & Öhler Kartons zu oder lieferte erste Beiträge für die „Manuskripte“ seines Mentors und späteren Lebensfreundes Alfred Kolleritsch. Schon bald fielen Sätze, die den Weg wiesen: „Schreiben kann ein Versuch sein, die Welt zu erobern“. Handke eroberte sie von Graz aus, der Heimstatt eines Wolfgang Bauer, Klaus Hoffer, einer Elfriede Jelinek und Barbara Frischmuth oder eines Gerhard Roth. Ein Geniewinkel soll es gewesen sein. Champions League würden die Heutigen sagen.
Großes Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern
Vor der abschließenden Prüfung brach Handke das Jus-Studium ab. Wenig später erschienen im Frühjahr 1966 die „Hornissen“. Für diese prägenden Jahre der Gabelung und Klärung, die bestimmend waren für alles, was kam und folgte, erhält der in Paris lebende Großschriftsteller Peter Handke am 15. November in der Grazer Burg aus den Händen von Landeshauptmann und Kulturreferent Christopher Drexler die höchste Auszeichnung des Landes, das „Große Goldene Ehrenzeichen mit dem Stern“. Der Regierungsbeschluss am Donnerstag fiel einstimmig.
In Kärnten war für eine ähnliche Ehrung vor Jahren eine hochnotpeinliche Änderung des Landesgesetzes notwendig geworden. Die höchste Kategorie war Politikern vorbehalten, für den großen Sohn des Landes wäre Silber abgefallen. Eine solche Amtsposse bleibt dem Nobelpreisträger in Graz erspart. Handke wird die Ehrung im Weißen Saal der Burg persönlich entgegennehmen. Eine stille Heimkehr. Heimkehr auch des jungen Rebellen, der den Etablierten hinter strenger Brille „Beschreibungsimpotenz“ vorhielt und mit der „Publikumsbeschimpfung“ den bildungsbürgerlichen Theaterbetrieb aus den Angeln hob? „Ich war nie ein Avantgardist“, sagt Handke am Telefon. „Ich war und bin ein konservativer Anarchist“. Er freut sich.