Es war einmal ein bunter Hund, der den grauen Fernsehalltag Anfang der 80er Jahre auflockerte. Der auf langen Beinen daherstelzende Gegenbeweis dafür, dass Deutsche doch einen Schmäh haben. Thomas Gottschalk platzte mit seiner unbekümmerten Schnauze in die Medienwelt, um das noch unfassbar steife Fernsehen aufzulockern. Jahrelang hatte er sich in den 70er im Radio das Mundwerk zugespitzt, bevor er zum Pop-Beauftragten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens avancierte. Der jugendliche Strahlemann kam überall so gut an, dass er eine gewisse Narrenfreiheit genoss. „Tommys“ Schlagfertigkeit brachte Aufmerksamkeit und Quote.

Gottschalks Possen - brillant

Seine Possen waren einfach, aber brillant.  Als bei „Wetten, dass…“ die prominente Kandidatin Maria Schell 1983 als Wetteinsatz ein Duett mit dem gerade in Deutschland weilenden Operntenor Plácido Domingo vorschlug, war Gottschalk noch Außenreporter der Sendung. Gottschalk sagte: „In der Ferne höre ich ein Flugzeug vorbeikommen. Das ist Plácido Domingo auf der Flucht.“ Vier Jahre später übernahm er die Sendung von deren Erfinder Frank Elstner und steuerte das Flaggschiff deutscher Unterhaltung zielsicher durch immer schwierigere Gewässer.

Parallel begann der 1950 in Bamberg geborene Gottschalk eine Kinokarriere als Komiker, und zeigte sich in langweiligen Blödeleien, die den damaligen Massengeschmack trafen und in denen er sein Image als ungezwungener Bursche, den seine große Schnauze immer wieder in Schwierigkeiten bringt. Gottschalk war beileibe kein Schauspieler (das wusste er immer sehr gut) und brachte immer neue fiktionale Varianten und Versionen des echten „Tommy“ auf die Leinwand. Wie geht doch der alte Spruch: Wer ihn umbringen wollte, müsste sein Mundwerk extra erschlagen.

Gottschalk und „Wetten dass...“ - ein Traum

„Wetten, dass…“ und Gottschalk waren eine traumhafte Verbindung, die Quoten sanken nach Elstner zwar, aber das lag im allgemeinen Trend. Deutsche Stars und internationale Superstars fanden es auch lange nach dem Zenit der Sendung Mitte der 80er noch absolut notwendig, in der Show aufzutreten. Madonna ist fünf Mal aufgetreten, sogar Paul McCartney ließ sich einmal von Gottschalk beschwatzen (und gab ein legendär einsilbiges Interview). Die Stardichte ist heute fast unvorstellbar. Gottschalk bewegte sich zwischen all den Legenden und Superstars wie ein Fisch im Wasser, uneingeschüchtert, die Frauen tätschelnd und die Männer gern provozierend, immer noch der unbekümmerte Junge aus dem Radio, der virtuos die Vorgaben des Senders traktierte, ohne sie in Frage zu stellen. Man darf nicht vergessen, welche strikten Richtlinien damals in der Familienunterhaltung galten. Gaststar Cher musste sich gegen ihren Willen mehr anziehen und noch 2003 zeigte das ZDF den „Lesbenkuss“ des russischen Popduos t. A. T. u. nicht. Gottschalks frecher Kommentar: „Wenn die zwei sich zu küssen beginnen, denken Sie sich nichts dabei. Es könnten ja Schwestern sein.“

Gottschalks fremdeln mit der Welt

Doch der lange Blonde begann mit der Welt zu fremdeln. Seine Anzüglichkeiten waren nicht mehr frech, sondern bestenfalls peinlich. Sein Humor bekam einen Bart, sein Musikgeschmack war antiquiert, seine Kleidung nicht mehr lustig-verrückt, sondern bizarr. Die Zeit überholte Gottschalk, eine Erfahrung, die Millionen andere auch gemacht haben, nur stehen sie dabei nicht im Rampenlicht. Und der an die Öffentlichkeit gewöhnte Gottschalk schweigt nicht gern. Sein neues Buch „Ungefiltert“ berichtet vom Unbehagen Gottschalks an der Gegenwart, die bekannt gewordenen Auszüge zeigen einen keineswegs unsympathischen Typen, einen alternden Liberalen, der halt der Zeit nachtrauert, als er so reden konnte, wie es ihm passte und das fast alle super fanden. Nun beschwert er sich über die neuen Regeln des Umgangs, die neuen Sprachcodes, die Wokeness, die furchtbare Musik. Der scheinbar ewige Jugendliche ist nicht mehr modern. Gottschalk ist ein Mann, der das Verblassen seines Ruhms miterlebt und darüberhinaus die normale Erfahrung macht, dass Altwerden bedeutet: Macht verlieren. Mitsprache verlieren. Abgehängt sein. Man läuft Gefahr, zum alten Nörgler zu werden. So wie früher Opa und also einer, über die „Tommy“ früher witzelte. Weil es vielen so ähnlich geht wie Gottschalk, wird „Ungefiltert“ (Verlag Heyne) gewiss ein Erfolg.

Gottschalkes Grabscherei: „Rein dienstlich“

Dass er in einem konfrontativ geführten „Spiegel“-Interview gesagt hat, dass seine gewohnheitsmäßige Grabscherei vor der Kamera „rein dienstlich“, also im Dienst der Show, geschehen sei ist auf zwei Ebenen bestürzend. Dass er das Problem an sich nicht verstehen will ist die eine, dass er glaubt, sich mit einem kessen Spruch aus der Situation zu befreien, die andere. Das, was früher funktioniert hat, und dem er seine Berühmtheit zu verdanken hat, ist deplatziert. Der Fisch liegt zappelnd am auf der trockenen Erde.