In seinem achten Ein-Mann-Theater "GLEICH" teilt Alfred Dorfer seine Gedanken zu Herausforderungen der Moderne mit dem Publikum. Im APA-Interview nach der Vorpremiere in Innsbruck sprach der Kabarettist über eine zerbrochene Gesellschaft, wo er Hoffnung sieht und warum er weder Linker noch "Nischenkasperl" ist. Das Ergebnis der Nationalratswahl war für ihn nicht "vom Himmel gefallen". Nun FPÖ-Wähler zu diffamieren, sei "unglaublich menschenverachtend".
Herr Dorfer, Sie sind zum wiederholten Male erstmals mit einem Programm im Innsbrucker Treibhaus aufgetreten. Welche Bedeutung hat das Treibhaus für Sie?
Alfred Dorfer: Für mich ist das, wie nach Hause kommen. Ich bin dem Publikum, das hier konstant großartig ist, seit Jahrzehnten sehr verbunden. Vorauftritte sind auch gewissermaßen ein Slalom in Nebel. Die wickle ich dort ab, wo Vertrauen herrscht.
Welcher Grundgedanke steckt hinter Ihrem neuesten Programm "GLEICH"?
Dorfer: Ich habe in dem neuen Programm versucht, Themen wie Bildung, Teuerung, Klima in kleinen Dosen vorkommen zu lassen, um sie von verschiedenen Gesichtspunkten zu beleuchten und immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Nicht mehr zeitgemäß sind Moralansprachen.
Muss Kabarett politisch sein?
Dorfer: Kabarett muss immer politisch sein. Aber es gibt einen Unterschied zwischen politischem Kabarett und Polit-Kabarett. Das von mir gemachte Kabarett ist für mich gesellschaftspolitisch. Auch stört mich das "Bashing" von Personen, das Hervorheben von Namen. Teils lachen die Menschen schon bei einer reinen Erwähnung von Namen. Das ist nicht mein Stil.
Kulturschaffende auch im Kabarettbereich gelten ebenso als links wie das Publikum. Erreichen Sie die ganze Breite der Gesellschaft?
Dorfer: Mein letztes Programm hatte 200.000 Zuschauer. Alleine schon aufgrund der Quantität muss ich außerhalb meiner "Bubble" tätig sein. Es gibt sicher auch Menschen, die bewusst nicht zu mir gehen. Weil sie mich persönlich nicht mögen oder mich für einen Linken halten - was im Übrigen falsch ist. Ich habe es nie angestrebt, ein Nischenkasperl zu sein. Die heutige Zeit ist generell ein Abgesang auf die ganze Links-Rechts-Geschichte.
Was tritt an die Stelle einer Links-Rechts-Einordnung?
Dorfer: Verstand.
Wie ordnen Sie sich selbst politisch ein?
Dorfer: Ich komme aus der sozialdemokratischen Ecke, bin sozialisiert worden unter Kreisky. Das hat mich in meiner Weltsicht geprägt. Es gab aber auch einen christlichen Teil in meiner Familie. Ich bin ein typisches österreichisches großkoalitionäres Kind. Im Laufe der Jahrzehnte wurde mir klar, dass wir mit Ideologie nicht weiterkommen werden. Kreisky hat die Sozialdemokratie mehrheitsfähig genannt, wenn sie sozialpolitisch links, wirtschaftspolitisch pragmatisch und in der Sicherheitspolitik rechts ist.
Ihr letztes Programm stammt aus dem Jahr 2017. Damals war Christian Kern Bundeskanzler, Donald Trump gerade gewählt. Wie hat sich die Welt seitdem entwickelt?
Dorfer: Der große Keil war Corona. Das hat die Gesellschaft nachhaltig beeinträchtigt. Eine verwöhnte Gesellschaft, die den Frieden als selbstverständlich angenommen hat, wurde nachhaltig verunsichert. Über 70 Jahre lang haben wir diese Selbstverständlichkeit mit uns getragen. Und plötzlich konnte man nicht mehr auf die Straße, Jobs und ökonomische Existenzen waren gefährdet. Das war für viele ein Dämpfer. Die Tendenz der Einhausung und eine Sozialscheu haben auch bei uns zugenommen.
Sie haben am Ende Ihrer Vorpremiere davon gesprochen, dass man sich in der Politik zwischen "Verhetzern und Versagern" entscheiden müsse. Was haben Sie damit gemeint?
Dorfer: Ich habe auch Kickl als eine Mangelerscheinung bezeichnet. Das ist aber kein österreichisches Problem. Wir sehen in Deutschland derzeit eine Ampelkoalition, die schon lange vor der Wahl tot ist. Bis vor zehn Jahren haben die Deutschen getönt, dass ihnen etwas wie Jörg Haider nicht passieren könnte. Jetzt haben sie die AFD und Sahra Wagenknecht. Offenbar genügen die Fähigkeiten der anderen nicht mehr, um diesen Gruppierungen das Wasser abzugraben. Die Botschaft, die aus dieser Wahl herauszulesen ist, ist: 'Wir wollen nicht mehr so weitermachen wie bisher.' Und manche sind sogar so verzweifelt, dass sie sich denken: 'Dann machen wir es halt mal so.' Diese Wähler als dumm hinzustellen oder als fast nicht wahlberechtigt zu diffamieren, ist unglaublich menschenverachtend.
Sind die anderen ratlos darin, wie man diese Wähler ansprechen soll?
Dorfer: Die Ratlosigkeit war erst die Konsequenz aus der Untätigkeit. Die Zeichen, dass so etwas passieren kann oder wird, standen schon lange an der Wand. Das Wahlergebnis ist nicht vom Himmel gefallen. Wenn man als Sozialdemokratie etwa keine klare Haltung zur Migration aufbauen kann, ist das ein Eigentor. Oder wenn Nehammer versucht, in dieser Frage hinterherzuhoppeln und als sozusagen FPÖ zweiter Garnitur aufzuspringen. Das geht nicht. Man hat das verschlafen. Aus dem Bauch gesprochen: Typisch österreichisch hat man geglaubt, es geht sich schlussendlich aus, die Nazikeule wird wirken. Vielleicht hat das haarscharf sogar geklappt, aber ein Konzept für die Zukunft ist das nicht.
Die FPÖ hat im Wahlkampf mit Herbert Kickl als "Volkskanzler" geworben. Was sind Ihre Gedanken dazu?
Dorfer: Kickl wie Haider sind Menschen, die gut spüren konnten, was in der Bevölkerung los ist, aber keine Lösungen anzubieten haben. Kickl hat neben den vielen inhaltlichen Problemen das Hauptthema gut erkannt: Viele Menschen fühlen sich durch das bestehende System überhaupt nicht mehr repräsentiert, angesprochen, gehört oder verstanden. Immerhin war die Wahlbeteiligung hoch. Aber ein Viertel, das sich nicht beteiligt, ist auch schon eine Zeitbombe. Diese Strömung, über die sich die anderen gar nicht gekümmert haben, hat Kickl unglaublich gut mit einer Mischung aus Nazi-Sprüchen und Bibel-Sprüchen aufgenommen. Ob die Wortwahl jetzt aus einer bestimmten Periode stammt, ist vielen nicht bekannt oder nicht wichtig - was ein trauriger Befund ist.
Dieses Rezept lässt sich von anderer Seite natürlich nicht kopieren. Wie kann man Menschen, die sich nicht mehr repräsentiert fühlen, noch ansprechen?
Dorfer: Diese Frage ist großartig. Man kann Migrationsthematik weder dadurch aufgreifen, dass man die FPÖ kopiert und die zweitbeste Möglichkeit ist, noch durch ein Konzept, das die Probleme leugnet oder beschönigt. Wir sind hier als gesamte Zivilgesellschaft gefordert. Wir müssen, glaube ich, auch außerparlamentarische Aktivitäten setzen. Nicht unbedingt Demonstrationen, sondern Positives. Beim Hochwasser zum Beispiel haben wir gemerkt, dass ein Großteil der Gesellschaft doch bereit ist, dieser Zentrifuge entgegenzuwirken. Wenn Menschen dabei helfen, Keller auszupumpen - ungeachtet dessen, ob das ein roter, blauer oder schwarzer Keller ist. Daran müssen wir anknüpfen, weil es diesen Kern der Bevölkerung offensichtlich noch gibt.
Angesichts multipler Krisen von Corona bis hin zum Ukraine-Krieg und der Teuerung sagen manche, dass eine grundsätzlich positive Sicht auf die Zukunft bei vielen von Zukunftspessimismus abgelöst worden ist. Teilen Sie diesen Befund?
Dorfer: Absolut. Das Tödlichste für eine Demokratie ist die Perspektivlosigkeit. Das fängt dabei an, dass junge Menschen wissen, sich selbst als arbeitendes Paar nie das leisten können, was wir uns leisten konnten. Zudem werden wir tagtäglich bombardiert mit hauptsächlich negativen Nachrichten. Wenn du das hörst, hast du tagtäglich das Gefühl, die ganze Welt steckt in Brand. Und irgendwann kommt es zu uns. Das macht uns zu in sich zusammenkauernden Murmeltieren.
Würden Sie sich also selbst auch als Zukunftspessimist bezeichnen?
Dorfer: Nein, ich glaube immer daran, dass es Möglichkeiten gibt. Selbst, wenn nur im Marginalbereich. Harald Schmidt hat letztens gesagt, er könne durch seine Satire im Großen gar nichts verändern. Aber er glaubt schon daran, dass wir im Minimalbereich Dinge zumindest bewusst machen können. Und da bin ich ganz seiner Meinung.
In der jüngeren Vergangenheit hat man das Gefühl, dass sie sich parteipolitisch eher heraushalten. Sie sind auch im Gegensatz zu Kollegen nicht in Personenkomitees vertreten. Warum?
Dorfer: Wenn man sich als Satiriker ernst nimmt oder ernst genommen werden will, darf man überhaupt keine Nähe zu einer Partei haben. Außer man ist der Kasperl für eine gewisse Gruppe. Aber wenn man Dinge bewusst machen und nicht die Menschen aufgrund einer Nähe zu einer Ideologie belehren will - was ich für furchtbar halte - dann geht das einfach nicht, dass man zum Beispiel ins Personenkomitee eines Babler geht.
Kabarettisten sind laut einem gängigen Klischee privat ernste Menschen. Trifft das auf Sie zu?
Dorfer: Nein. Ich würde sagen, ich bin privat eher unernst. Ich mache viele Dinge, die meinem Alter nicht entsprechen. Ich ärgere mich noch immer über Sachen wie Fußballergebnisse. Diese Infantilität ist noch immer in mir. Ich bin kein Mieselsüchtiger und nicht depressiv. Zum Glück - das ist ja mitunter etwas, das man sich nicht aussuchen kann.
Apropos Fußball: Sie sind bekennender Fan der Wiener Austria. Beim jüngsten Derby gab es wieder Ausschreitungen. Beschäftigt Sie das?
Dorfer: Sehr. Ohne Schuldzuweisung an einen der beiden Vereine: Aber den Fußball und den damit verbundenen zivilisatorischen Prozess, also auch den Besuch eines Fußballspiels als Familie mit Kindern, dermaßen zu torpedieren - das ist Wahnsinn.
Wie kann man dieses Problem in den Griff kriegen?
Dorfer: Die Engländer haben zum Beispiel durch eine Erhöhung der Ticketpreise in der Premier League die Spiele eher zu Theatervorführungen gemacht. Wenn man bei Arsenal gegen Liverpool ist, meint man, man ist bei einer Shakespeare-Vorstellung, so still und ruhig ist es. Man hat durch die Fan-Ausschlüsse aber die Gewalt nur aus dem Stadion vor das Stadion verlagert. Dieses offensichtlich vorhandene Potenzial zu kanalisieren, damit dieses nicht immer wieder explodiert, ist unglaublich schwierig. Ich bin ratlos, wie wahrscheinlich viele andere auch.
Was steht nun als Nächstes für Sie an?
Dorfer: Mein Kalender ist momentan bis Ende 2026 mit "GLEICH" ausgebucht, dabei sind die meisten interessierten Häuser noch gar nicht zum Zug gekommen. Mein eigentlich einziges Talent, meine Inselbegabung sozusagen, ist es, auf die Bühne zu gehen und selbst geschriebene Texte zu spielen. Einen Kinofilm würde ich gerne wieder machen, da bin ich aber abhängig von einem Team, einem Regisseur und Co-Autoren. In Aussicht ist aber konkret nichts.
Welche Frage, die Sie gerne beantworten würden, wurden Sie in Interviews noch nie gefragt?
Dorfer: (denkt nach) Was ich vorhabe, nach dem Tod zu machen. Darauf würde ich antworten: Das überlege ich mir noch. Zeit ist ja dafür noch genug - also nachher. (lacht)