In der österreichischen Kulturszene herrschte am Sonntag nach den ersten Hochrechnungen, die die FPÖ klar auf Platz eins sahen, Erschütterung. Nach ersten Stellungnahmen von ÖNB-Generaldirektorin Johanna Rachinger, den Festival-Intendanten Milo Rau (Wiener Festwochen) und Ekaterina Degot (steirischer herbst) und Volkstheater-Direktor Kay Voges setzt die APA heute mit weiteren Reaktionen in einer losen Folge von miteinander verknüpften Zitate-Meldungen fort.

Elfriede Jelinek, Nobelpreisträgerin:

Die prominente Autorin, die mit persönlichen Statements zurückhaltender ist als mit ihrer Beteiligung an Aufrufen und Unterschriftenlisten, wollte das Wahlergebnis gegenüber der APA nicht kommentieren: „Nein, es ist alles gesagt, außer: Angesagte Katastrophen finden statt.“

Stefan Bachmann
Stefan Bachmann © Christoph Kleinsasser

Stefan Bachmann, Burgtheaterdirektor:

„Die Frage ist nun: wie geht es gesellschaftlich und kulturpolitisch weiter? Zunächst einmal obliegt es der politischen Verantwortung, bei den bevorstehenden Verhandlungen dafür zu sorgen, dass unsere Demokratie gegen einen drohenden rechtspopulistischen Staatsumbau verteidigt wird. Als Kulturschaffende müssen wir deutlich machen, wie wertvoll demokratische Freiheit und Weltoffenheit sind. Ein europäisches, modernes, demokratisches Österreich braucht eine vielfältige Kulturlandschaft, die visionär, unbequem und kritisch sein darf“, so der neue Burgtheaterdirektor, der Schweizer Stefan Bachmann, in einem schriftlichen Statement.

Elisabeth Schweeger
Elisabeth Schweeger © Harald Steiner

Elisabeth Schweeger, Künstlerische Geschäftsführerin von „Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut 2024“:

„Das Wahlergebnis ist für alle demokratischen Kräfte in diesem Land mehr denn je eine Herausforderung für ein Europa, das für Offenheit und Aufgeklärtheit steht. Ich bedaure, dass so mancher offensichtlich nicht aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt hat, dass Ausgrenzung, Diffamierung von Kunst und Aufhebung demokratischer Grundstrukturen – wie die AfD in Thüringen es derzeit vorlebt und die Verfassung schamlos missachtet – der Menschheit schadet und sie leider nicht für eine Welt im Umbruch stark macht“, meinte Kulturhauptstadt-Intendantin Elisabeth Schweeger in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA. „Nur eine Konzentration im politischen Handeln unter Einhaltung unserer demokratischen Grundregeln und Respekt vor der Vielfalt an Kulturen und Denkweisen wird die Spaltung der Gesellschaft verhindern können: Autokratische Strukturen sind menschenunwürdig. Das sollten wir nicht vergessen.“

Eva Sangiorgi
Eva Sangiorgi © APA / Roland Schlager

Eva Sangiorgi, Viennale-Direktorin:

Die 46-jährige Italienerin Eva Sangiorgi steht seit 2018 der Viennale und damit dem größten österreichischen Filmfestival vor. Sie gilt als wache Beobachterin der politischen Lage in Europa. Sie übermittelte der APA nach dem Wahltag folgenden kurzen Text: „Am Tag nach dem dramatischen Ausgang der Nationalratswahl in Österreich erwachen wir mit Krieg, der Androhung einer Invasion und anhaltenden Bombardierungen im Nahen Osten, atomarer Aufrüstung und fortgesetzter Angriffe. Auf diesem Nährboden gedeihen die falschen Freiheitsversprechen der Rechten, die in Wahrheit nur eine Unterdrückung der Schwächeren, eine auch ökonomische Demütigung, Intoleranz und Verachtung sowie Freiheitseinschränkungen für alle mit sich bringen. Das findet in ganz Europa statt. Ich hoffe auf neue Allianzen vor diesem niederschmetternden Panorama.“

Thomas Maurer
Thomas Maurer © Tamara Albler

Thomas Maurer, Kabarettist:

Kabarettist Thomas Maurer, der am 8. Oktober sein neues Solo „Trotzdem“ vorstellt und sich vor allem als Mitglied der „Staatskünstler“ regelmäßig satirisch mit der Tagespolitik auseinandersetzt, reagierte im APA-Gespräch mit „einer gewissen resignierten Angewidertheit“. Die Freiheitlichen sollten jedenfalls aus der Regierung herausgehalten werden. „Wir hatten einen Innenminister Kickl, der unseren Geheimdienst ruiniert hat. Die FPÖ hatte eine Außenministerin (Karin Kneissl, Anm.) nominiert, die offensichtlich ein russisches Asset ist und von Putin in einer Militärmaschine ausgeflogen wurde. Wie kann man noch deutlicher demonstrieren, dass man in einer Regierung nichts verloren hat? Das scheint aber 30 Prozent der Menschen völlig wurscht zu sein.“

Sollte es tatsächlich zu einer FPÖ-ÖVP-Koalition kommen, werde es „definitiv unlustig“, prophezeit Maurer. „Das Hauptmatch wird sein, ob ein Umbau der Institutionen nach ungarischem Vorbild verhindert werden kann.“ Die Affinität zum Orban‘schen System sei bei den Türkisen vor allem aus der Kurz-Ära ja nicht wirklich minder ausgeprägt als bei den Blauen, so der Kleinkünstler. Als Best-Case-Szenario nennt er eine Dreier-Koalition ohne FPÖ-Beteiligung, die vernünftige Reformprojekte auf die Beine stelle und diese auch kommuniziere.

Die Wahrscheinlichkeit dafür schätzt Maurer aber als eher gering ein. Ziemlich sicher ist er sich: Sollte es am Ende zu Blau-Schwarz kommen, „wird wohl zuerst vier Monate lang verhandelt und dann stellt sich unter Tränen heraus, dass die SPÖ leider viel zu marxistisch ist und von ihren Maximalforderungen nicht und nicht abrückt – siehe Niederösterreich. Irgendwo hat man dann halt die staatspolitische Verantwortung, doch mit Nazis zu koalieren.“

Ekaterina Degot
Ekaterina Degot © APA/ERWIN SCHERIAU

Ekaterina Degot, Intendantin des Festivals steirischer herbst:

„Das Wahlergebnis ist, wenn auch nicht überraschend, dennoch erschütternd. Was Koalitionen betrifft, ist bei all der moralischen Hyperflexibilität, gepaart mit akuter Amnesie natürlich alles möglich. Wir erwarten das Schlimmste. Aber: Prepare for the worst and fight for the best! Wer Kultur zensiert, die nicht passt, hat wenig Bedenken, Menschen einzusperren, die nicht ‚passen‘. Das hat die Geschichte immer und immer wieder gezeigt. Wir brauchen keinen erneuten Beweis.“

Milo Rau:
Milo Rau: "Man muss als Demokrat Widerstand leisten!"
| Milo Rau © APA/AFP

Milo Rau, Intendant der Wiener Festwochen:

Milo Rau zeigte sich im Telefonat mit der APA verwundert, wie genau man in New York, wo er sich dieser Tage aufhält, die politische Situation in Europa und in Österreich verfolge. Es sei offenbar eine internationale Entwicklung, dass immer größere Teile der Bevölkerung das Aufgebaute „zerschlagen wollen, ohne zu wissen, warum: Das ist rein destruktiv, ohne einen Plan!“ Für den Schweizer ist das österreichische Wahlergebnis „noch ein bisschen schlimmer, noch desaströser ausgefallen als erwartet“.

Für Rau steht trotz Platz eins für die FPÖ fest: „Diese Partei kann nicht den Kanzler stellen!“ Man müsse aus der Geschichte lernen und dürfe keine antidemokratischen Kräfte mit demokratischen Mitteln an die Macht kommen lassen: „Man muss als Demokrat Widerstand leisten!“ Auch gegen Kulturfeindlichkeit müsse man energisch auftreten und Kulturinstitutionen als Räume des offenen Dialogs verteidigen.

„Wir stehen auf unsicherem Boden. Wir haben uns nach 1989 offenbar zu sicher gefühlt“, konstatierte der Regisseur und Festivalmacher historische Versäumnisse in einer Gesellschaft, die in vielen europäischen Ländern nach rechts rutscht. „Eine plebiszitäre Volkskanzlerdiktatur, die alles Verbindende abräumt, wäre Kapitel eins der Tragödie. Das wäre der Beginn des Untergangs des europäischen Projekts.“

Volkstheater-Direktor Voges setzt sich weiter mit der Wahl auseinander | Kay Voges
Volkstheater-Direktor Voges setzt sich weiter mit der Wahl auseinander
| Kay Voges © APA/EVA MANHART

Kay Voges, Direktor des Wiener Volkstheaters:

„Es wurde so fürchterlich, wie man es sich nicht vorstellen wollte“, sagte Theaterintendant Kay Voges, der sich mit der Band „Die Hitlers“ noch am Sonntagnachmittag satirisch in den antifaschistischen Kampf eingebracht hatte, unmittelbar nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnung am Rande der Volkstheater-Wahlparty. „Man ist erst mal schockiert, dass fast 30 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher eine antidemokratische Partei wählen. Was ist verkehrt gelaufen in den letzten Jahren? Haben wir in diesem Land zu wenig humanistische Grundbildung?“, fragte er im Gespräch mit der APA. „Ich glaube, es ist jetzt an uns zu fragen: Wo hat die österreichische Demokratie in allen Bereichen versagt?“

Er hofft jetzt „inbrünstig, dass es nicht zur schlimmsten aller Koalitionen kommt und die ÖVP wirklich noch eine “Volkskanzlermacherpartei‘ wird.“ Es schockiere, „dass die FPÖ und die ÖVP zusammen jetzt bei 55 Prozent sind. Das ist ein österreichzentristisches Weltbild, das sich vor dem Anderen, dem Neuen, verschließt. Und das ist schon ein menschenverachtendes Weltbild, das die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher wählt. Das schockiert mich.“

Voges sieht „eine Tendenz, den komplexen Sachverhalten, den komplexen Problemen der Wirklichkeit, mit einfacher Polemik zu begegnen. Es hat die Partei gewonnen, die die polemischsten, einfachsten, unterkomplexsten Antworten gegeben hat. Vielleicht müssen wir noch weiter hinaus rufen, dass Komplexität in einer globalisierten, multikulturellen Welt dazugehört, und dass das unsere Herausforderung ist. Und dass diese Herausforderung auch mit der Schönheit zu tun hat, ein Miteinander hinzubekommen, und dass Rassismus, Polemik, Vereinfachung nicht zum Wohl aller führt.“

Thomas Köck
Thomas Köck © KLZ

Thomas Köck, Autor:

Der oberösterreichische Autor hatte sich ein Jahr lang mit den politischen Verwerfungen in Österreich beschäftigt und in einer umfangreichen „Chronik der laufenden Entgleisungen“ ein Tagebuch samt Analyseversuch vorgelegt. Auf den Wahltag reagierte er am Sonntagabend mit einem kurzen Text:

„Ich habe als Kind einmal eine Schlange gefunden, die sich um ein Sägeblatt gewickelt hat. Sie ist darüber gekrochen, hat sich daran geschnitten und aus einem Reflex zur Selbstverteidigung heraus hat sie versucht, den vermeintlichen Feind, das Sägeblatt, zu zerquetschen. Als ich die Schlange damals gefunden habe, war sie tot. Lag da, fest um das Sägeblatt gewickelt. Es ist das Bild, das mir zu dem Wahlabend heute einfällt, ich weiß nur noch nicht, wer die Schlange ist und wer Sägeblatt, wer die Demokratie, wer die Rechtsextremen, wer die Gesellschaft, wer die Wähler:innen, wer die Enttäuschten, wer die Wütenden, wer die aus Reflex um das Sägeblatt sich Drückenden, wer das Vergessen, wer die Angst, wer die Wut und wer die 2. Republik. Vielleicht ist die aber auch schon verschwunden und wir habens einfach noch nicht gemerkt. Vielleicht muss die sich jetzt aber auch bewähren, zeigen, was sie kann, wer sie ist und wozu sie geschaffen wurde. Was wir auf jeden Fall lernen: Die Themen von Rechtsextremen zu ‚besetzen‘ bringt nichts. Nur Sägeblätter, Wunden und sich wundern.“

Julya Rabinowich
Julya Rabinowich © Michael Mazohl

Julya Rabinowich, Autorin:

Auch die mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin Julya Rabinowich (zuletzt: „Der Geruch von Ruß und Rosen“) reagierte schriftlich: „SS-Lieder, Fahndungslisten, Putinliebe: Das alles war fast 30% aller Wählenden egal. Oder sogar erwünscht. Wir befinden uns nun in einem schmerzlich undefinierten Schwebezustand zwischen Schwarzblau, großer Koalition und einer Ampel. Das bedeutet, dass Österreich nun in dieser extremen Lage auf Vernunft und Kompromissbereitschaft derjenigen angewiesen ist, die keine SS-Lieder mögen und eine andere Vision für Österreich haben als die ewiggestrige und destruktive. Die Zukunft des Landes liegt also in vielen Händen. Mögen sie ihrer Verantwortung gerecht werden. Einfach wird es nicht. Aber was ist schon einfach außer Populismus.“

Marie Rötzer
Marie Rötzer © APA / Hans Klaus Techt

Marie Rötzer, Intendantin des Landestheaters Niederösterreich:

„Das Wahlergebnis ist für mich ein Schock, aber auch ein schon länger bekanntes Abbild der österreichischen Gesellschaft, das man gerne verdrängen möchte. Aber ich muss als Demokratin zur Kenntnis nehmen, dass eine rechtspopulistische Partei mit radikaler Argumentation und aggressiver Propaganda fast ein Drittel der Wähler*innen für sich gewinnen konnte.

Ich befürchte, dass ein „Volkskanzler“, der Österreich innerhalb Europas zu einer Festung ausbauen möchte, die Freiheit des Einzelnen und auch die Freiheit von Kultur, die Arbeit am Theater, einschränkt und beeinflusst. Was nationalistische Regierungen für die Kultur bedeuten können, sieht man bereits in Ungarn und der Slowakei, indem die Kulturbetriebe der Parteilinie gleichgeschaltet werden und unsere Kolleg*innen dort nicht mehr frei arbeiten können.

Auch nach diesem Wahlergebnis in Österreich bleibt es aber unsere Aufgabe, im Dialog untereinander zu bleiben. Ich werde deshalb mit meiner grundsätzlichen Auffassung für Kulturarbeit Theater weiterhin für alle Menschen anbieten. Ich sehe es nach dieser Wahl noch mehr als ein Ziel meiner Arbeit, der Propaganda und den billigen Parolen entgegenzuwirken, um eine positive und hoffnungsvolle Zukunft gemeinsam zu gestalten„“ so Marie Rötzer, Intendantin des Landestheaters Niederösterreich, die ab der Saison 2026/27 die Leitung des Wiener Theaters in der Josefstadt übernimmt, in einem schriftlichen Statement gegenüber der APA.