Vielleicht wird dereinst ein weiser Mensch das Liedgut von Rammstein sortieren, einordnen und zum Schluss kommen: Es war so und nicht anders. Bis dahin müssen wir raten: Nehmen wir Till Lindemann, Front-Poet der Band Rammstein, ernst, wenn er singt: „Deutschland, meine Liebe kann ich dir nicht geben.“ Oder nehmen wir es für bare Münze, wenn er trällert: „Suche gut gebauten, 18- bis 30-Jährigen zum Schlachten.“
Rammstein bot Mittwochnacht in der 28 Black Arena (früher sagte man Wörthersee-Stadion), was Rammstein zu bieten hat: ein Traktat vom traurigen Leben. Dort, wo Tränen, getrocknet in des Sängers Gesicht, sich mischen mit Gewaltverherrlichung, muss man sagen: Sie haben die Horror-Freak-Show zur Perfektion getrieben. Es ist schon sehr gut, dass sich Bands nicht mehr – wie einst Judas Priest – vor Gericht wegen angeblich versteckter satanischer Botschaften verteidigen müssen. Aber Rammsteins vor Gewalt triefender Sprechgesang klebt immer wieder an der Seele wie dunkles Konfetti, das sie bei einem ihrer düstersten Lieder in die Luft schossen: „Dann reiß ich der Puppe den Kopf ab. Ja, ich beiß der Puppe den Hals ab.“ Man weiß nie so recht, was ist da Spaß, was ist Parodie?
Es ist heiß
Aber zurück zum Anfang. Ihre perfekt getimte Show haben Till Lindemann (Sänger), Richard Kruspe (Gitarre), Paul Landers (Gitarre), Oliver Riedel (Bass), Christoph Schneider (Schlagzeug) und Christian „Flake“ Lorenz (Keyboards) um 20.36 Uhr mit einem Pulsschlag begonnen. Flake spielt und geht zeitgleich auf seinem Laufband, Lindemann schlagt sich auf die Oberschenkel und singt „Links 234“, „Asche zu Asche“ und verschwindet immer wieder hinter der Bühne – es ist heiß. Denn die Pyrotechnik-Show schickt Hitzewellen durch das Stadion. Beim oben erwähnten „Puppe“ schiebt Frontmann Lindemann den Puppenwagen auf die Bühne, der alsbald lichterloh brennt. Die Fans bekommen, was sie sich wünschen – und die deutsche Metal-Band ist mittlerweile auch sehr berechenbar geworden, zu aufwendig die Shows, um sie kurzfristig zu verändern.
Tortur getränkter Tran
Lindemann präsentiert seinen von Tortur getränkten Tran, musikalisch wird der doch recht eintönige Metal von Techno- und Elektro-Elementen aufgelockert. Immer wieder baut er „Klagenfurt“ in seinen Sprechgesang ein, viel mehr Zeit für Kommunikation bleibt bei diesem Schauspiel nicht. „Radio“, ein Song aus ihrem Album aus dem Jahr 2019, gelingt dann irgendwie als schöner Moment, zumal der Song auf ihre Zeit in der DDR anspielt: „Wir durften nicht dazugehören. Nichts sehen, reden oder stören.“ Aber das Radio, das war ein Weg in die Freiheit. Bei „Mein Teil“, der Song über Kannibalismus, wird Flake im Kochtopf gegrillt und schon bald erglüht die „Sonne“. „Die Sonne scheint mir aus den Händen. Kann verbrennen, kann dich blenden.
Gegen Ende der Show setzt dann (aushaltbarer) Regen ein - der erwartete Sturm blieb aus, einzig Rammstein entzündete ein Feuerwerk. Von Protesten, wegen der Vorwürfe gegen Lindemann aus dem Vorjahr (siehe Infobox) während oder vor dem Konzert, war nichts zu bemerken. Lindemanns Griffe in den Schritt oder die gewaltverherrlichenden Texte bleiben aber nicht ohne einen bitteren Beigeschmack. Als der Regen einsetzt, stechen die Mannen von Rammstein mit dem Schlauchboot in das Meer der Menschen. „Ausländer“ ertönt, ein Song, der den Sextourismus zum Thema hat, aber – wie bei Rammstein üblich – gezielt provoziert. Es ist die Lust an der Provokation, die Rammstein perfektioniert haben. Und so reitet Lindemann bei „Pussy“ auf der Penis-Kanone – als wäre nichts gewesen.