Auf dem Münchener Oktoberfest wird der Song heuer nicht laufen. Die UEFA will ihn nicht bei der EM. Ö3 legt ihn sowieso schon nicht mehr auf, Kronehit, Radio Energy und Radio Wien nehmen ihn aus dem Programm. Seit bekannt wurde, dass zu Gigi d’Agostinos Tanz-Oldie „L’amour toujours“ auf Volksbelustigungen zwischen Sylt und Kärnten rassistische Verballhornungen mitgegrölt werden, verzichten Veranstalter und Sender auf den 25 Jahre alten Gassenhauer.
Da und dort setzt jetzt eventuell der obligate Empörungsreflex ein. Aber ruhig Blut, Gigi d’Agostino ist kein Opfer der „Cancel Culture“, und auch die Kunstfreiheit ist nicht gefährdet: Sein Lied ist weiter im Handel und auf allen Streamingplattformen erhältlich, und den Musiker, dessen Original Liebe und Zusammengehörigkeit preist, macht ja niemand für die fremdenfeindliche Überschreibung verantwortlich. Aber sein Song ist zum Transportmittel extremer Parolen geworden. Ihn vorerst nicht öffentlich zu spielen, ist also eine gute Entscheidung – und eine, die jeder Körperschaft und jedem Veranstalter zusteht. Wenn ich eine Party veranstalte, trage ich dem DJ ja auch auf, dass er z.B. Stumpf-Schlager daheim lässt.
Das Problem ist ja auch ein ganz anderes: Die Sylter Affäre hat zutage gebracht, dass ähnliche Vorfälle auch schon in Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Kärnten aufgezeichnet wurden. Die Vielzahl der Vorfälle zeigt an, wie scheinbar normal es bereits ist, in aller Öffentlichkeit rassistischen Dreck zu verbreiten.
Gewissermaßen ironisch kann man dabei finden, dass die Parolengröler sich auf Social Media mit ihrer Pöbelei gebrüstet haben und genau dadurch gestellt werden konnten. Dabei spielen soziale Medien bei der Vergemeinschaftung rechtsradikaler Parolen eine bekannt unrühmliche Rolle. Wir wissen mittlerweile, dass sogar die extremsten Behauptungen umso „normaler“ und glaubwürdiger wirken, je öfter man sie aufschnappt. Und dass Rechtsradikale solche Mechanismen gezielt zwecks Normalisierung ihres Extremismus einsetzen.
Gerade vor diesem Hintergrund kann man augenscheinliche Besserverdiener, die auf Faschingsumzügen oder Partys zu einem Tanzschlager „Ausländer raus!“ skandieren, nicht bloß als harmlose Deppen abtun, die sich im Suff halt nichts gedacht haben. Wenn Nazi-Gedankengut davor steht, sich in der gern zitierten Mitte der Gesellschaft festzusetzen, ist es richtig, dass Polizei und Staatsschutz ermitteln, an dieser Art der Wiederbetätigung Beteiligte angezeigt oder von ihren Arbeitgebern entlassen werden. Und es steht jedem Veranstalter zu, sie zu ächten, anzuzeigen und rassistisch vereinnahmte Songs aus Playlists zu verbannen – schon allein um zu signalisieren, dass so etwas nicht normal sein kann und darf.
Machen wir zunächst eine ganz nüchterne Bestandsaufnahme, was „L’Amour Toujours“ eigentlich ist: Eine laute, nicht gerade komplexe, unschuldig gestrickte Party- und Love-Parade-Hymne, nach 25 Jahren etwas angestaubt, aber in der Sparte Eurodance ein haltbarer Hit. Der Urheber, der seit Jahrzehnten erfolgreiche italienische DJ und Produzent Gigi D’Agostino, konzipierte das harmlose Lied einst als durch und durch unpolitische Spaßträgerrakete.
Seit einiger Zeit wird es von dumpf Rechtsaußendrehenden gekapert, die ihren xenophoben Alternativtext dazugrölen. Grauslich und ein Symptom dafür, wie derartiges Gedankengut längst in die Gesellschaft sickerte. Was einst im Keller ausgedünstet wurde, wird ungeniert als Nazi-Chiffre nach außen getragen. Das ist nicht tolerierbar.
Soll man die Nummer deshalb verbieten? Definitiv nein! Erstens ist der Gedanke, 2024 ein Lied ausblenden zu können, lachhaft – das hätte schon in der Schallplatten-Ära vor 40 Jahren nicht funktioniert: Auf dem Münchner Oktoberfest oder in der Fanmeile der Fußball-EM in Deutschland mag es nicht abgespielt werden – doch schon ein in die Höhe gerecktes Smartphone reicht, um Gleichgesinnte zu beschallen und zu ködern.
Seit das Stück im Visier ist, ist es etwa in den iTunes-Charts populär wie nie zuvor: Der Bann ist somit nicht einmal ein Pyrrhussieg. Radiosender nahmen „L’Amour Toujours“ aus ihrer Programmierung – doch diese sind längst nicht mehr der wichtigste Lieferant von Musik.
Vor allem aber: Was kann ein Lied, in dem mit simplen lyrischen Fertigkeiten die Liebe und das Gemeinsame beschworen und gefeiert werden, für seine ungustiöse Zweckentfremdung? Es auf den Index zu setzen, ist am Ende ein Triumph der Schänder. Wenn man es nun Xenophoben überlässt, stellt sich die Frage, welcher missbrauchte Song als Nächstes aus dem Rennen genommen wird.
Es gibt Rechtsrock-Bands, die offen mit Neonazi-„Gedanken“ hantieren. Diese galt und gilt es, ins Visier zu nehmen. Und: Die Veranstalter von Großereignissen müssen allzeit Sicherheit garantieren können. Das bedeutet auch, ins rechtsrechte Nirwana Abgebogene vom Festivalgelände unverzüglich zu entfernen. Man möge Krakeelen wie auf Sylt und anderswo niemals als salonfähig gewordenen „Party-Patriotismus“ abtun.
Und: Über allem muss eine grundsätzliche, ehrliche Auseinandersetzung stehen – mit Ursachen und Symptomen von Fremdenhass, aber auch mit migrationspolitischen Fehlentwicklungen. Ein Lied zu verbieten, ist eine ebenso klägliche wie untaugliche Gegenwehr, die gesellschaftliches Bewusstsein niemals ersetzen kann. Ein Song über allwährende Liebe und sein Komponist, der jedenfalls als Gegenteil eines Hetzers gelten darf, sind gewiss nicht das Problem: Die Gedankenwelt jener, die es missbrauchen, ist es.