Wenn einem die ganze Welt offensteht - wohin geht man dann? „Wenn ich in Berlin bin, habe ich Dutzende kulturelle Angebote. Doch wahrscheinlich bleibe ich zu Hause, weil ich ohnehin nicht alles machen kann. So ähnlich geht es heute den jungen Menschen, die Schwierigkeiten damit haben, Entscheidungen zu treffen, weil es so viele Möglichkeiten gibt. So treffen sie häufig gar keine“, sagt Jugendforscher Simon Schnetzer, der seit 2010 die Lebens- und Arbeitswelten junger Menschen untersucht. Der Diplom-Volkswirt aus dem Allgäu erforscht, wie die Generationen ticken.
„Der große Wunsch für die Zukunft von Menschen ist, in Wohlstand zu leben, keine finanziellen Sorgen zu haben, eine schöne Unterkunft und Familie - das ist das Idealbild von Zukunft. Egal ob vor zehn Jahren oder heute. Aber das Bild von Wohlstand hat heute eine zusätzliche Dimension bekommen mit großen Zweifeln: Wir haben noch nicht einmal eine intakte Umwelt für diesen Wohlstand“, erläutert Schnetzer, Vater von drei Kindern im Alter von 2, 5 und 7 Jahren.
Die großen Unterschiede zu früheren Generationen sieht er bei den heute 14- bis 29-Jährigen anhand von drei Punkten: „Respekt, Verbindlichkeit und Kommunikation.“
Stichwort Respekt: Die jüngeren Menschen heute haben weniger Respekt vor Alter, Erfahrung und Wissen, denn mit ein paar Klicks könne jeder ohnehin erfahren, wie etwas funktioniere. Wissen sei zwar nicht irrelevant, aber es habe nicht mehr denselben Stellenwert. Nicht Alter und Erfahrung würden bei den jüngeren Menschen zählen, sondern allein die Kompetenz ein Problem zu lösen.
Stichwort Verbindlichkeit: Wenn ich mich vor lauter Möglichkeiten nicht entscheiden kann, sage ich da und dort zwar zu, „aber ein unterschriebener Ausbildungsvertrag ist nur eine Option, kein Commitment. Die jungen Menschen zahlen für ein Hotel lieber mehr, wenn sie stornieren können, denn vielleicht gehen sie ja doch nicht hin. Und auf Amazon bestellen sie eher etwas, das sie auch zurückschicken können. Sie halten sich gern ein Hintertürchen offen“, erklärt Schnetzer. Für uns als Gesellschaft sei diese Unverbindlichkeit allerdings herausfordernd.
Stichwort Kommunikation: „Schnelligkeit ist gefordert. Wenn sich junge Menschen irgendwo bewerben, erwarten sie sofort eine Rückmeldung. Bekommen sie keine Rückmeldung, suchen sie sich blitzschnell etwas anderes“, erklärt der Jugendforscher.
Vielleicht sind die Jüngeren heute unabhängiger und freier als die Babyboomer, die nach und nach in Pension gehen. „Die jüngere Generation nimmt sich die Freiheit heraus zu sagen: Das akzeptieren wir nicht. Sie fordert, was ihr wichtig ist. Stimmen die Rahmenbedingungen nicht, gibt‘s etwas anderes.“ Junge Menschen waren stets Seismografen für gesellschaftliche Veränderungen.
Jahrzehntelang und bis heute trafen die Babyboomer die Entscheidungen. Sie sitzen im Management und sind anderen Generationen zahlenmäßig überlegen: Wenn die Boomer gehen, wer gibt dann den Rhythmus vor? „Die Boomer sind in Organisationen häufig auch die Verhinderer von Erneuerung und Anpassung. Ich werde dann oft von der Personalabteilung als Vermittler engagiert“, sagt Schnetzer. Denn die Personalabteilung wisse genau: „Wenn sich die Führungskräfte nicht anpassen, hauen die Jungen wieder ab, aber wir brauchen sie, weil wir sonst unsere Produktion nicht aufrecht erhalten“, erklärt der Jugend-Experte. Was junge Menschen einfordern, würde allerdings auch den Älteren gefallen: eine gute Arbeitsatmosphäre, Wertschätzung und die Work-Life-Balance.
Der 44-jährige Simon Schnetzer kennt den Spruch noch: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre : Wenn du etwas lernen willst, dann pass‘ dich an und mach‘, wie dir befohlen wird.‘ Mittlerweile heißt es auch in den Familien: Wenn es dir nicht gefällt Kind, dann musst du nicht.“ Denn das, was die jüngere Generation von Organisationen einfordert, ist häufig auch das, was sie von zu Hause gewohnt ist.
Dass vieles anders werden müsse, denken heute aber sowohl die jungen wie die alten Menschen. Bei der Jugend ortet Schnetzer allerdings „eine noch größere Unzufriedenheit in der persönlichen Lebenssituation. Die vielen Krisen geben jungen Menschen das Gefühl, nicht mehr aus dem Strudel an Problemen herauszukommen.“
Wenn er in Studien über mehrere Generationen hinweg allerdings frage: „In welcher Zeit hätten Sie gern gelebt?“, antworte niemand „in einer anderen Zeit.“ Er könne es nicht mehr hören, dass die jungen Leute faul seien und nicht mehr arbeiten wollen: „Denn es stimmt nicht! Sie wollen einfach bessere Bedingungen.“