Tag 3 mit Hudson Mohawke, DJ Krush und einem Konzert aus nur einem Song
Wer aus dem Vollen schöpfen kann, der kann auch bei kurzfristigen Absagen einen spannenden Act aus dem Ärmel schütteln. Statt der britischen Produzentin Loraine James (Hyperdub) gibt es im Orpheum eine Entdeckung aus Österreich: Der Wiener ssolve startet mit rauen, manchmal düsteren Sound-Landschaften, dann entert Enesi M. die Bühne und sorgt mit einer wilden Mischung aus brasilianischem Baile Funk, süßen Soul-Pop und Grindcore (!) für offene Münder. Was war denn das? Bitte mehr davon!
Im kleinen Saal geht es etwas weniger hochenergetisch zu: Laaangsam starten Muscle Tomcat Machine um Manfred Engelmayr (Bulbul), David Reumüller (Reflector) ihr Set, bei dem tatsächlich keine Eile geboten ist. Drei Stunden lang steht nur ein einziger Song auf dem Programm, gemeinsam mit Gästen (u.a. Wolf Lehmann, unternimmt das Duo eine Exkursion in ihren hypnotischen Song „This Blur“. Die Besucherinnen und Besucher kommen und gehen, nicht wenige lassen sich aber voll und ganz auf die Sogwirkung des Ein-Song-Konzerts ein, und das ist mit Sicherheit kein Fehler.
Obwohl: Im Hauptsaal steht derweil eine echte Legende der Elektroszene auf der Bühne. DJ Krush gilt in Japan als einer der Pioniere des (instrumentalen) HipHop, bald erweiterte er sein Sound-Verständnis aber in viele Richtungen. Auch mit 60+ schafft er noch zwingende Soundwelten, mit „Saisei“ erschien gerade auch ein neues Album. Zu hören gibt es komplexe Beats, Turntablism und Rap auf Japanisch – immer wieder unterbrochen von lautem Jubel.
Hauptact ist einer, den man schon als Stammgast von Elevate bezeichnen kann: Hudson Mohawke ist ebenfalls ein Producer mit Hip Hop als Ausgangspunkt, von dem aus er seinen ganz eigenen Stil des „Wonky“ entwickelte, chaotisch, verspielt, manchmal etwas anstrengend, aber immer mitreißend – auch dank geschickt eingesetzter „Bretter“ wie Prodigys „No good“ und seinem eigenen „Set the roof on fire“. Spätestens jetzt sind die Tanzbeine für eine lange Clubnacht im Dom aktiviert.
Der Donnerstag: Schlichte Songs, wummernde Bässe
Donnerstagnacht beim Elevate: Ein vergnüglicher Parcours zwischen auratischer Beschaulichkeit und kalter Ästhetik.
Am Eingang riecht es nach Weihrauch. Eine neue Dimension des multimedialen Elevate-Festivals? Aber auch die elegischen, düsteren Songs von Petra Hermanova, die da nach norwegischer Folkmusik und dort nach alter Sakralmusik duften, hätte man sich nicht zwingend erwartet. Aber schön, dass man auf solchen Wegen für diese anmutige ätherische Musik lockere 350 Neugierige ins Mausoleum bringt. Wo es drinnen kälter als draußen, aber die Stimmung zum Greifen dicht ist. Psychedelisch war das nicht, dazu waren die langsam fortschreitenden Lieder der tschechischen Sängerin und Harfenistin zu sehr im Einklang mit der Natürlichkeit des Materials und seiner auratischen Beschaulichkeit. Eine angenehm unspektakuläre Entdeckung waren Hermanova und ihr Pfeifenorganist aber auf alle Fälle, ein Duo, dessen Musik an Schlichtheit kaum mehr zu unterbieten ist. Erst als sich ein fettes Schlagzeug-Solo bis ins Bombastische auftürmt hat die Anmut ein Ende und ist man ganz Elevate - großer Jubel.
Herausfordernd für Aug´ und Ohr nahm die folgende performative Klanginstallation ROTOЯ bisweilen richtig bedrohliche Formen an. Kalte Ästhetik und Wahrnehmungsbeschleunigung von magischer Anziehungskraft, ein fesselndes elementares Tech-Happening zu Füßen der Heiligen Katharina.
Nach diesen Vorgaben hatte es die französische Sängerin Cécile Schott aka Colleen am Moog-Synthesizer freilich nicht leicht. Ihr gefälliges Andante durch elektronische Traumlandschaften unter stilsicher aufgefächerten Scheinwerferkegeln hatte eher harmonisch somnambulen Charakter.
Also ab zu Radian in den beängstigend vollen Keller des Forum Stadtpark. Als eines der Highlights der langen Nacht scheiterte das renommierte Wiener Experimental-Trio mit dem einst in Graz studierten Jazzgitarristen Martin Siewert dort aber allzu oft an der launigen Technik und wurde dem herausragenden, sehr differenzierten neuen Album „Distorted Rooms“ (Thrill Jockey) kaum gerecht. Vor allem die schmerzhaft wummernden Bässe konnten einem den Spaß am klanglichen Nuancenreichtum ganz schön verderben. Das dynamische Spiel der Sinne wäre woanders wohl besser aufgehoben gewesen. Einen Beweis erbrachten Radian jedenfalls: Es gibt sie doch, die spannenden Entspannungsteile. Schön war’s, nix is g´schehn.