Es war der Abend von Céline Dion: Der Satz passt auf die Grammy-Verleihung 2024 ebenso wie auf jene von vor 25 Jahren – drei Grammys holte die Kanadierin 1999 für „My Heart Will Go On“ aus dem „Titanic“-Soundtrack ab. Sonntagabend gab es für die seit längerem am Stiff-Person-Syndrom leidenden Sängerin Standing Ovations. Dass sie Taylor Swift den Grammy für das „Album des Jahres“ überreichte, war ein gelungener Coup der Veranstalter. Eine Bühne, zwei Popstars, zwei völlig verschiedene Welten. 1999 sollte es noch weitere fünf Jahre dauern, bis Facebook erfunden wurde, aber zumindest die „Beastie Boys“ holten sich damals mit „Intergalactic“ einen Grammy. Intergalaktisch, ein Wort, das ganz gut auf Taylor Swift passt – irgendwie zwischen den Welten schwebend. Bricht Rekorde ohne Ende, hat schon mal zehn von 13 Liedern eines Albums in den Top10 der US-Single-Charts und knackte Sonntag wieder einen Rekord, was sonst: Es ist der vierte Grammy in der Hauptkategorie. Den nächsten möglichen Kandidaten hat sie Sonntagabend auf der Bühne angekündigt und es gleichzeitig über Social Media in die Welt hinaus geschossen: Ihr neues Album „The Tortured Poets Department“ erscheint am 19. April.
Man mag die Grammys für eine Veranstaltung halten, die am Ende des Tages meist mit folgenden Headlines abgefeiert wird: die besten Frisuren, die schönsten Looks, die besten Partypics! Aber man stellt damit etwas in den Schatten, das immer noch eine enorme Strahlkraft hat, die sich durch Social Media innerhalb kürzester Zeit potenzieren kann, womit wir wieder bei Taylor Swift sind: die eruptive Kraft der Popkultur. Würde ein Drehbuchautor an einer Serie schreiben, in der sich ein permanent lügender Ex-Präsident neuerlich zur Wahl stellt und dessen Berater sich vor dem Einfluss eines globalen Popstars fürchten – die mit einem Footballer liiert ist, dessen Team gute Chancen auf den Superbowl hat – dann klingt das lächerlich nach Hollywood, ist aber so. Dass die wichtigsten Grammy-Kategorien heuer fest in weiblicher Hand waren, ist auch kein Zufall, denn gesellschaftspolitische Umbrüche zeigen sich bekanntlich immer auch als Vorboten in der Unterhaltungsindustrie.
Das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verkrustungen gerade hier – von der Musik über Film bis hin zum Seriengeschäft – bis vor gar nicht allzu langer Zeit massiv waren. Nicht zuletzt erinnerte Preisträger Jay-Z am Sonntagabend daran, wie sehr die Veranstalter lange Zeit schwarze Künstlerinnen und Künstler ignoriert haben.
Große Abräumerinnen des Abends waren Singer-Songwriterin Phoebe Bridgers mit vier Preisen, drei davon mit ihrer Band Boygenius. Drei Grammys sahnten SZA („Kill Bill“) und Victoria Monét ab. Miley Cyrus und Billie Eilish räumten in den großen Kategorien ab: „Flowers“ von Cyrus erhielt den Grammy als „Single des Jahres“, Eilish wurde mit „What Was I Made For?“ in der Kategorie „Song des Jahres“ ausgezeichnet. Auch ein Steirer jubelte: Markus Illko gewann mit einer Neuinterpretation des Johnny Cash-Klassikers „Folsom Prison Blues“ in der Kategorie „Best Arrangement Instrumental“ (siehe Steirer des Tages, Seite 14/15). Auf die unangenehme Art ausgezeichnet hat sich Rapper Killer Mike: Der dreifache Grammy-Gewinner wurde von der Polizei in Handschellen abgeführt, von einer körperlichen Auseinandersetzung war die Rede. Hat hier jemand was von Klischee gesagt?