70 Meter lang ist sie, die „Wall“ von Sol LeWitt, die sich seit September, 20 Jahre nach ihrer Premiere, neuerlich durch den Space 01 im Grazer Kunsthaus schlängelt. In der Reihe „@ Sol LeWitt‘s Wall. Performed“ treten über neun Monate hinweg mehrere Künstlerinnen und Künstler in einen Dialog mit der Mauer, die einst aus einer Skizze heraus entstanden ist. Am Anfang war also die Linie, und das gilt ebenso für die gebürtige Kärntnerin Renate Krammer, die in Kumberg lebt und arbeitet. Seit 25 Jahren ist die horizontale Linie das zentrale Werkzeug ihres künstlerischen Universums. Mit ihr lotet sie die Tiefe von Räumen aus, strukturiert sie, formt sie, zieht Grenzen. Genug „Gesprächsstoff“ also, zwischen der „Wall“ und den einzelnen Positionen Krammers, die den größten Zwischenraum, den die Mauer bildet, ausfüllt, vermisst, definiert und zu einer Art schützenden Bucht werden lässt.
Nicht nur die bloße Linie wird hier zum Kreuzungspunkt, auch der Prozess des Werdens, die Umsetzung des Konzeptes, ist zentraler Bestandteil bei Krammer und war es bei Sol LeWitt. Krammers Faszination für die horizontale Linie ist auch ihrem unendlichen Variantenreichtum geschuldet. Ebenso faszinierend ist, wie die Linie der Künstlerin längst in Fleisch und Blut übergegangen ist – stets in absoluter Exaktheit mit freier Hand gearbeitet. Das kann man in der Schau „Linien“, kuratiert von Alexandra Trost, auch anhand älterer Arbeiten bis ins kleinste Detail erforschen. Das liegt auch am Aufeinandertreffen der Materialien – Grafit- und Buntstifte in unterschiedlichsten Härtegraden oder auch Acryl. Als bevorzugter Dialogpartner hat die Künstlerin seit vielen Jahren handgeschöpftes Maulbeerpapier in Verwendung. Sorgfältig, mit einer eigenen Technik in Streifen gerissen, entstehen so immer neue Linien. Die, aneinandergeklebt, ungemein verdichtete Linienbilder ergeben. Je nach botanischen Einschlüssen sind sie kratzig, fluffig, ausgefranst oder messerscharf. Ein Hochamt der Haptik, flankiert von einer vielschichtig strukturierten „Wall“.