Den einzigen Schmuck, den Jil Sander trägt, ist ihre Rolex. Mit ihrem Gespür für Proportionen, der Lust an der Reduktion, einem Faible für Oversized-Schnitte und vor allem viel Fleiß gelang der Hamburger Modeschöpferin der Aufstieg in den Mode-Olymp. Neben Karl Lagerfeld sorgte die 1943 in Schleswig-Holstein geborene und in Hamburg aufgewachsene Designerin, dass Mode made in Germany niemanden mehr erschreckte. Ihre Stilelemente: Minimalismus und Purismus. Hamburg, das Tor zur Welt, beeinflusste ihre Mode, die immer die Aura des Großstädtischen hatte. „Es war wohl vor allem die ,weibliche Kleidung‘, die mich irritiert hat, weil die Männer ganz andere, praktischere Sachen tragen durften. Auf die war ich neidisch‘, sagte die Designerin kürzlich der dpa.
Am 27. November feiert die zurückgezogen lebende Selfmade-Millionärin mit Wohnsitzen im kleinen Ort Plön in Schleswig/Holstein, in Hamburg, Berlin, im Schweizer Gstaad und auf Ibiza ihren 80. Geburtstag. Wo und wie sie das tun wird, ist nicht bekannt. Nur eines verriet sie der Deutschen Presse-Agentur: „Diesen Geburtstag vergesse ich ganz gerne und gehe auf Reisen.“
Auf und davon hieß es für Jil Sander schon in jungen Jahren. Sie studierte an der Staatlichen Ingenieurschule für Textilwesen in Krefeld und am University College Los Angeles. Im Anschluss arbeitete sie in New York bei der Modezeitschrift „McCalls“. Nach zwei Jahren kehrte Jil Sander 1963 nach Hamburg zurück, wo sie für die Magazine wie „Petra“ als Moderedakteurin tätig war. Mit 24 Jahren verkaufte sie ihren VW-Käfer, um im aufstrebenden Quartier Pöseldorf, nah bei der Alster, eine schwarz lackierte Boutique eröffnen zu können.
Zunächst scheiterte sie jedoch mit ihrer Idee, gut gestaltete und fair erworbene Mode in Indien fertigen zu lassen und zu normalen Preisen in Europa zu verkaufen. Sie änderte ihr Konzept grundlegend.
Neben Entwürfen für Pariser Luxusdesigner wie Sonia Rykiel startete sie 1973 mit ihrer eigenen Modelinie. Sie setzte auf funktionales Understatement in zurückhaltenden Farben aus eigens entwickelten Hightech-Geweben, Wollstoffen, Kaschmir, Seide und Leinen. Ihr Motto: „Die inneren Qualitäten verstärken sich, wenn das Äußere stimmt.“
Sander sah sich dem Stil des Bauhaus verbunden, mit seiner klaren, minimalistischen Formensprache. Damit wandte sie sich gegen den Zeitgeschmack in der Mode, der mit Buntem und Dekorativen einherging.
Ihre schwierigen Anfangsjahre konnte Sander finanziell dank einer lukrativen Parfüm-Lizenz meistern. Mit dem Kosmetikhersteller Beecham bot sie eine Duft- und Pflegeserie an - und bewarb diese mit eigenem Gesicht, was sie als Persönlichkeit bekannt machte. Damals kamen „Woman Pure“ und „Men Pure“ gleichzeitig auf den Markt.
Bereits in den modisch exaltierten 80ern präsentierte Sander ihre Kollektionen auf den international wichtigen Modewochen. Von 1983 bis 1985 leitete sie die Modeklasse an der Universität für angewandte Kunst Wien, als Nachfolgerin von Karl Lagerfeld. 1989 führte sie ihr Unternehmen an die Börse, war Kreativchefin und leitete es als Vorstandsvorsitzende. „Ich habe Jil Sander als besonders leidenschaftliche Designerin kennen und schätzen gelernt“, attestierte ihre Hamburger Kollegin Iris von Arnim.
Jil-Sander-Flagship- und Franchise-Stores schossen weltweit wie Schwammerl in die Höhe, von Hamburg über Tokio bis Taipeh. In den 90ern entwickelte sie eine Männer-Linie, die bald 20 Prozent zum Konzernumsatz beitrug. Nach triumphalen Jahren ging die Hamburgerin 1999 mit der italienischen Prada-Gruppe ein Joint Venture ein. Zu einem späteren Zeitpunkt verkaufte sie ihre Aktienmehrheit an den Partner.
2003 übernahm sie erneut die Design-Verantwortung im Unternehmen ihres Namens, das unter Prada-Führung rote Zahlen geschrieben hatte. Und erneut erzielte Jil Sander Erfolge. Doch 2004 trennte sie sich wieder von Prada-Chef Patrizio Bertelli, um 2012 ein letztes Mal das Design von Jil Sander zu übernehmen. Auch diesmal erhielt Sander viel Anerkennung. Nur ein Jahr später kehrte die Hamburgerin der nach ihr benannten Marke wohl zum letzten Mal den Rücken, nach eigenen Angaben aus persönlichen Gründen. 2014 starb ihre Lebenspartnerin, Angelica „Dicky“ Mommsen, mit 72 Jahren an Krebs. Mit ihr hatte Sander auch auf dem Gut Ruhleben bei Plön gelebt.