Literaturverfilmungen haben einen schweren Stand bei all jenen, deren Kopfkino bereits Seite für Seite beim Lesen angekurbelt worden ist. Julia Francks Selbstermächtigungsroman „Die Mittagsfrau“ mutierte 2007 zum Bestseller, wurde in 37 Sprachen übersetzt und weltweit mehr als eine Million Mal verkauft. Der Prolog beinhaltet einen unvergesslichen Paukenschlag: Aus Sicht eines Siebenjährigen wird erzählt, wie seine Mutter ihn aussetzt. Am Bahnsteig. Im Roman skizziert die Autorin Kränkung für Kränkung wie es dazu kam, dass Helene Würsich ihren Sohn verlässt.

Die österreichische Regie-Ikone Barbara Albert („Nordrand“, „Licht“) hat den Roman opulent für die große Leinwand inszeniert. Visuell spannt die historische Verfilmung einen großen Bogen von einem Mädchen mit wahnsinniger Mutter in der ostsächsischen Stadt Bautzen zu Anfang des 20. Jahrhunderts übers schillernde Leben in den 1920ern bis zur Gattin und in die Mutter- und Hausfrauenrolle gedrängten Frau während der Nazizeit. Einer Frau und Halbjüdin, die ihre Identität zunächst aufgibt und unter neuem Namen weiterlebt – in der Ehehölle.

Für die deutsche Nachkriegsgeschichte interessiert sich der Film weniger. Dafür umso mehr für die Fragen von Mutterschaft, Frausein und den weiblichen Körper. Die ambitionierte Helene (Mala Emde), „Engelchen“ genannt, und ihre Schwester Martha (Liliana Amuat) fliehen von der Hölle ihrer Erzeugerin, stranden bei ihrer Tante in Berlin und mitten in den „Roaring Twenties“, im Rausch. Dort, wo die sexuelle Freiheit daheim ist. Die Ära dauert bekanntlich nicht ewig. Die Verfilmung arbeitet sich artig an den Stationen des Romans ab und konzentriert sich auf diese vielschichtige Frauenfigur. Helene macht wunderbare erste intime Erfahrungen mit dem Freigeist Karl (bezaubernd: Thomas Prenn). Er stirbt, der Nationalsozialismus wirft erste Schatten voraus. Helene erfährt, dass sie als Halbjüdin nicht weiter ohne Arier-Ausweis im Krankenhaus arbeiten kann. Also heiratet sie ihren Verehrer Wilhelm (Max von Groeben) – einen Nazi. Und während draußen der Krieg tobt, erfährt Helene drinnen im Schlafzimmer rohe sexualisierte Gewalt; inklusive Schwangerschaft und einem Kind, das sie nicht will.

Schauspielerin Mala Emde gelingt mit der Verkörperung Helene Würsichs Bravouröses. In diese Frau, die sich selbst verloren hat und mit ihrem Kind hadert, kann man sich bedingungslos hineinfühlen. Und wie sie sich dann wiederfindet und emanzipiert, ist brisantes Gegenwartskino.