Herr Wanker, Sie befassen sich mit Wechselwirkungen von Proteinen – Eiweißmoleküle, die im Körper wichtige Funktionen erfüllen und Krankheiten auslösen, wenn sie defekt sind. Wie betrifft das Coronavirus Ihre Arbeit?
ERICH WANKER: Seit ich Forscher bin, faszinieren mich Proteine, wie sie in menschlichen Zellen wirken und kommunizieren, welche dreidimensionalen Strukturen ihre Aminosäureketten einnehmen können. Das Coronavirus besteht aus 29 solcher Proteine, die dafür sorgen, dass es funktionieren und sich vermehren kann. Wenn es auf unsere Zellen trifft, interagieren virale Proteine mit menschlichen Proteinen. Diese Wechselwirkungen lassen sich messen, genau das haben wir in den letzten Monaten gemacht.

Wozu muss man über diese Wechselwirkungen Bescheid wissen?
Das Ziel ist, zu verhindern, dass die Virus-Proteine die menschlichen schädigen können. Das lässt sich möglicherweise mit bereits bekannten Wirkstoffen bewerkstelligen, das testen wir gerade aus. Wir nehmen uns ein Protein des Virus heraus und suchen nach einem passenden Wirkstoff, der das Protein unschädlich macht.

Klingt wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen.
Dank der modernen Computertechnologie ist es das eben nicht. Von zwei Proteinen im Virus wissen wir, dass sie sein Wachstum steuern. Diese Proteine lassen wir gerade von einem der stärksten Großrechner in der EU mit einer Datenbank von 1,3 Milliarden Wirkstoffen abgleichen. Wenn es Treffer gibt, werden die dann im Labor noch einmal experimentell getestet.

Erich Wanker
Erich Wanker © KK

Hat man ein mulmiges Gefühl, wenn man mit einem derart gefährlichen Virus hantiert?
Wir hantieren ja nur mit einzelnen Proteinen des Virus, nicht mit dem Virus selbst. Das ist völlig ungefährlich. Für uns sind das Proteine wie alle anderen auch. In der Erforschung der molekularen Vorgänge bei Krankheiten wie Chorea Huntington oder Alzheimer haben wir der Messung von Proteinwechselwirkungen eine große Expertise aufbauen können. Die kommt uns jetzt zugute.

In der Alzheimerforschung hat es in letzter Zeit Rückschläge gegeben. Wie geht man als Wissenschaftler damit um?
Es ist tatsächlich nicht so gut gelaufen, 99 Prozent aller klinischen Studien, die ihre Hoffnungen auf einzelne Proteine als Ziele für Heilmittel gesetzt haben, sind gescheitert. Alzheimer ist eine Krankheit mit vielen Ursachen, die Veränderungen im komplexen System der Proteine bewirken. Es wird daher wohl Kombinationstherapien benötigen.

Ähnliches vermuten Sie auch in Sachen Corona?
Ich bin nicht sehr optimistisch, dass ein Impfstoff die Lösung sein wird – gerade die gefährdeten älteren Patienten können auch mit einer Impfung oft nicht mehr die nötige Immunantwort aufbringen, weil ihr Immunsystem altersbedingt schon schwächer ist als das von jungen Menschen. Erfolgreicher aus meiner Sicht wäre eine Mischung aus mehreren Wirkstoffen, die man Patienten mit schweren Verläufen verabreicht. Noch haben wir das aber nicht.