Wie viele Österreicher leiden an einer psychischen Erkrankung?
SYLKE ANDREAS: Vor Kurzem wurde dazu die erste Repräsentativerhebung in Österreich durchgeführt. Eine Zwischenauswertung aus dem Depressionsbericht Österreich ergibt für depressive Erkrankungen eine Auftretenshäufigkeit in einem Jahr von rund zehn Prozent. Zur häufigsten psychischen Erkrankung, der Angsterkrankung, liegen aber keine Zahlen vor. In Deutschland erkranken daran innerhalb eines Jahres circa 14 Prozent der Bevölkerung.
Die Dunkelziffer ist deutlich höher. Warum ist das so?
Aus Studien wissen wir, dass die Betroffenen oft sehr lange denken, dass sie gut allein klarkommen. Bei depressiven Erkrankungen ist die Hemmschwelle oftmals hoch, sich überhaupt zu kümmern. Sie können sich sicher vorstellen, wie schwer es für die Betroffenen ist, die sich antriebslos, niedergeschlagen und womöglich hoffnungslos fühlen, Hilfe zu suchen. Wenn zudem noch Angst dazukommt, zu telefonieren, kann sich eine erste Kontaktaufnahme schwierig gestalten. Hinzu kommt, dass es in der Bevölkerung noch viele Unklarheiten darüber gibt, was Psychotherapie ist und wie sie wirkt. Ebenfalls entscheidend im österreichischen System ist der hohe Selbstkostenanteil an einer Psychotherapiestunde. Dort, wo Psychotherapie leistbar ist, gibt es monatelange Wartezeiten.
Warum ist die Hemmschwelle, sich helfen zu lassen, so hoch?
Betroffene haben oft das Gefühl, von anderen abgestempelt, stigmatisiert zu werden. Viele Betroffene berichten von einer großen Scham, die sie davon abhält, sich anzuvertrauen. Damit verbunden sind Vorbehalte und Vorurteile, warum jemand psychisch krank wird und wie sich die Erkrankung äußert. Oft beginnt es auch mit der gesellschaftlichen Akzeptanz, dass anerkannt wird, dass eine psychische Erkrankung eine Krankheit ist und behandlungsbedürftig ist.
Welche Altersgruppe ist am meisten gefährdet, psychisch zu erkranken?
Die Haupterkrankungszeit ist das mittlere Erwachsenenalter und das höhere Lebensalter ab 65 Jahren.
Warum gibt es für die Altersgruppe ab 65 Jahren wenig effiziente Behandlungsmethoden?
Wenn man sich die Zahlen anschaut und noch dazunimmt, dass die Suizidrate im höheren Lebensalter ansteigt – da hat Kärnten übrigens die höchste Suizidrate –, dann könnte man daraus schließen, dass der Bedarf hoch sein müsste. Das höhere Lebensalter ist aber ein besonderes Alter. Zum Beispiel äußern sich depressive Erkrankungen im höheren Lebensalter anders als davor. Das wiederum bedeutet, dass es geschulte Ärzte und Psychologen geben muss, die eine Altersdepression auch erkennen können. Zum höheren Lebensalter gehört auch, dass einige Prozesse wie kognitive Prozesse langsamer werden. Die Psychotherapieverfahren, die sich bislang gut bewährt haben und gut untersucht wurden, haben als Zielgruppe Menschen im Erwachsenenalter zwischen 18 und 65 Jahren.
Seit Oktober besteht das Psychotherapeutische Forschungs- und Lehrzentrum in Klagenfurt. Was sind die Kernkompetenzen?
Im Therapiezentrum werden unter der therapeutischen Leitung von Caroline von Korff und der wissenschaftlichen Leitung, die ich innehabe, die am meisten vorkommenden psychischen Erkrankungen wie Depression und Angsterkrankungen behandelt. Die Behandlungen werden auf wissenschaftlich höchstem und therapeutisch aktuellstem Niveau durchgeführt. Dabei liegt die Kernkompetenz im Bereich der psychodynamischen-psychoanalytischen Verfahren. Dazu gibt es noch zu wenige Studien und es bedarf der Weiterentwicklung für die Altersgruppe der Menschen im höheren Lebensalter.
Wie hilft das neue Therapiezentrum Betroffenen?
Wir bieten zu einem sehr günstigen Preis – Zuzahlung 15 Euro die Stunde – hochwertige therapeutische Behandlungen an, die ihren Beitrag zur Bekämpfung von Depression und Angsterkrankungen leisten sollen. Wir arbeiten dabei auch wissenschaftlich, um die Verfahren weiterzuentwickeln und zu untersuchen, welche Person welche Behandlung benötigt.
Wie unterscheidet es sich von konventionellen psychotherapeutischen Praxen?
Das Psychotherapeutische Forschungs- und Lehrzentrum der Uni Klagenfurt unterscheidet sich insofern von konventionellen Praxen, als die Menschen, die zu uns kommen, offen dafür sein sollten, sich auch in den Dienst der Forschung und der Weiterentwicklung zu stellen. Informationen gibt es unter pflz.aau.at.
Esther Farys