Prügelei im Klassenzimmer, ein Schüler schlägt härter zu als der andere. Die Reaktion des Lehrers: Er suspendiert den Aggressor für einen Tag, sagt ihm: „Ich möchte dich heute nicht unterrichten.“ „Das war eine unerwartete Reaktion, die auch den Schüler erreichte und zum Denken brachte“, erinnert sich ein Augenzeuge, dem sich besonders das besonnene Handeln seines Lehrers ins Gedächtnis gebrannt hat. Für den Berichterstatter ist das ein Beispiel für einen weisen Lehrer.
Die Psychologieprofessorin Judith Glück sammelt diese Beispiele mit großem Eifer. Sie beschäftigt sich schon seit Jahren mit Weisheit in beruflichen Kontexten, ihr aktuelles Projekt fokussiert auf den Lehrberuf. „Lehrer haben in der Bevölkerung einen ziemlich gemischten Ruf. Negative Erfahrungen stehen da vielen positiven Erlebnissen gegenüber, die von weisen Entscheidungen oder Handlungen toller Lehrer geprägt sind. Ich interessiere mich dafür, welche äußeren Bedingungen es für Lehrer schwierig machen, weise zu handeln“, sagt Glück und meint damit Schranken wie Vorschriften und Bildungsstandards.
Mit ihrer Arbeit will Glück nicht zuletzt das Lehrerbild in der Öffentlichkeit korrigieren, weil es dem, was Lehrer leisten, nicht gerecht werde. „Ich glaube, dass es im Lehrberuf ganz stark auf Weisheit ankommt. Die Rolle als Mentor und Vorbild ist schwierig zu erfüllen, da sie oft persönliche Situationen mit Eltern und Schülern umfasst. Da braucht es mehr als bloß fachliche Kompetenz.“
Ein weiterer Grund, warum sich Glücks Forschungsprojekt auf die Lehrer konzentriert, ist ihr Einfluss auf kommende Generationen: „Wir nehmen an, dass ein weiser Lehrer oder eine weise Lehrerin durch ihr Agieren positiven Einfluss auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nehmen kann“, sagt Glück. Seit Jänner arbeitet sie mit einem Team aus Studierenden, Doktoranden und Postdocs an der Ergründung der Weisheit im Lehrberuf. Noch befindet sich das Projekt in der ersten Phase, in der die Bevölkerung aufgerufen ist, Geschichten von weisen Lehrern zu erzählen.
Interviews mit weisen Lehrern stehen als Nächstes an. Schon jetzt kann Glück aber aus dem vorliegenden Material ableiten, dass weise Lehrer typischerweise mit ihren Schülern gerne und oft diskutieren – ihnen dabei aber nie vorschreiben würden, was sie zu denken hätten. „Und: Weise Lehrer sagen nie von sich selbst, weise zu sein.“