Welche Rolle nehmen Videospiele in der heutigen Zeit ein?
FELIX SCHNIZ: Videospiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Von Kindern im Vorschulalter bis hin zu Senioren wird immer mehr auf Smartphones, Spielekonsolen oder dem PC gespielt. Das Medium wird zum Kulturgut.
In Ihrer Dissertation möchten Sie zeigen, dass Videospiele in Spielern Erfahrungen hervorrufen können. Was verstehen Sie darunter?
Erfahrungen sind mehr als die Summe einzelner Sinneseindrücke. Dass Videospiele audiovisuelle Reize bieten, Geschichten erzählen und uns Abenteuer erleben lassen, ist ersichtlich. Ich zeige, wie es durch das künstlerische Zusammenspiel dieser Elemente möglich ist, ein Empfinden in uns auszulösen; sodass wir über Schönheit, Glauben oder philosophische Fragen nachdenken.
Warum legen Sie den Fokus Ihrer Arbeit auf das Britische in Videospielen?
Die Suche nach dem typisch Britischen ist mein Zugang zu Erfahrung. Die Erfahrung von Schönheit etwa ist subjektiv, was die wissenschaftliche Arbeit mit dem Begriff erschwert. Gehe ich aber davon aus, dass es in der britischen Kultur spezifische Arten gibt, Schönheit künstlerisch zu verarbeiten, kann ich mich nach diesen Traditionen auf die Suche machen und schauen, ob sie im Videospiel umgesetzt werden und ob sie in einem Spieler eine solche Empfindung auslösen. Ein interessanter Nebeneffekt: Meine Arbeit unterstreicht, wie viel Kultur in Videospielen steckt.
Bitte nennen Sie ein Beispiel.
„Everybody’s Gone to the Rapture“ etwa beschäftigt sich mit dem Ende der Welt und damit einhergehenden Fragen – und dass aus einer typisch britischen, sentimentalen Ruhe heraus. Man wandert durch ein ländliches Gebiet an der Grenze zu Wales und stellt sich alleine und meditativ der Frage, was für uns wirklich von Bedeutung ist.
Warum kämpfen Videospiele oft mit einem schlechten Ruf?
Sie leiden darunter, dass man sie unmöglich verallgemeinern kann, es aber versucht wird. Für viele Politiker etwa ist „Das Videospiel“ – man bemerke den undifferenzierten Singular – noch gar nicht fähig, ernst genommen zu werden. Für einen Großteil der Journalisten ist es oft der Grund für Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen.
Verändert sich die Wahrnehmung von Videospielen?
Die Bedeutung von Videospielen als vollwertiger Teil unserer Kulturlandschaft wird präsenter. Der künstlerische Anspruch wird immer mehr in der Presse betont. Ihre Rolle als Funktionsträger in der Gesellschaft – wie bei E-Sports-Turnieren – wird deutlicher und sie inspirieren zur Erprobung neuer Technologien. Stichwort: Virtual Reality.
Wo steckt der Mehrwert?
In der Emanzipation, die Spieler erleben. Je ausgefeilter virtuelle Welten werden, desto mehr ist man als Spieler in ihre Gestaltung involviert, bekommt moralische Verantwortung, aber auch kreative Freiheit.
Lebenserfahrung in Videospielen sammeln – geht das?
Eine spannende Frage! Anders als andere Medien wie Film und Fernsehen lebt uns das Videospiel keine Erfahrungen vor – eigenmächtig treffen wir Entscheidungen über den Spielverlauf. Gleichzeitig ist das Videospiel aber auch virtuell und somit abgehoben vom echten Leben. Durch diese Eigenmächtigkeit aber kommt die Videospielerfahrung so nahe an die konkrete Lebenserfahrung wie kein anderes Medium zuvor.
Sie vertreten die These, dass in der Welt alles spielerischer zu werden scheint. Warum?
Wir entdecken die Freude am Selbsterlebten wieder. Neben Videospielen finden interaktive Events zunehmend Anklang. Geschichten werden spannender, wenn wir selbst die Protagonisten sind. Technik wird uns zugänglicher, wenn sie uns spielerisch einlädt, Funktionen zu entdecken. In Unternehmen werden Planspiele durchgeführt, um Mitarbeiter zu Teamarbeit und Management zu trainieren. Spielend finden wir Zugang zu neuem Wissen – diese Erkenntnis verändert gerade jeden Bereich der Gesellschaft.
Esther Farys