Sie haben nach Ihrem Hauptschulabschluss eine Lehre als Verkäuferin gemacht und haben es ohne Abitur und Studium in den Aufsichtsrat eines Großkonzerns geschafft. Auf Ihrer Homepage findet man zahlreiche Interviews zum Thema Mut. Wie definieren Sie Mut?
Manuela Rousseau: Für mich bedeutet Mut, daran zu arbeiten, dass sich alte Rollenmodelle auflösen, damit wir den notwendigen Fortschritt wie New Work, Digitalisierung, aber auch gleichberechtigte Teilhabe nicht durch Vorurteile bremsen. Ich bin seit 21 Jahren im Beiersdorf Aufsichtsrat, damals als erste Frau in einer reinen Männerriege. Mut bedeutet, dass man immer wieder aus der Komfortzone raus muss, genau an diesen Dingen wachsen wir.

Wie begegneten Ihnen die Kollegen im Aufsichtsrat?
Als ich 1999 zum ersten Mal in den Aufsichtsrat gewählt wurde, traf ich dort auf elf Herren. Es ging sehr hierarchisch zu, der Vorsitzende steuerte die Sitzung. Eine offene Diskussion gab es nur begrenzt, weil in Vorgesprächen vieles schon geklärt worden war. Als später zwei Frauen dazukamen, ergab sich eine gewisse Solidarität untereinander. Kommunikation, Konsens, Kooperation, das sind Stärken, die wir Frauen in die Berufswelt einbringen. Insofern haben wir gemeinsam eine neue Diskussionskultur beflügelt. Nach Einführung der Quote für den Aufsichtsrat sind wir heute fünf Frauen. Es ist eine neue, offenere Kommunikationskultur entstanden. Frauen haben zum Beispiel weniger Probleme damit, nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstanden haben.

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Was ist der größte Hemmschuh für Frauen?
Selbstzweifel sind für Frauen, viel häufiger als für Männer, ein Hemmschuh. Männer denken eher in Potenzialen, während Frauen in Defiziten denken. Zum Beispiel, wenn man sich für eine Stelle bewirbt. Eine Frau überlegt lange und stellt sich die Frage: Bringe ich alles mit, was verlangt wird? Männer zeigen sich entscheidungsfreudiger. Außerdem passen oft die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch nicht. Ich kenne Frauen, die verschwiegen haben, dass sie schwanger sind oder dass sie ein Kind haben, aus Sorge, deshalb Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Als ob Muttersein, eine Katastrophe für den Job wäre. Da stecken Frauen noch immer in einem Korsett, das nicht genug Flexibilität für diese Vereinbarkeit bietet.
Früher waren Sie gegen eine Frauenquote, heute sind Sie dafür. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?
Ich kenne keine Frau, die sich wohlfühlen würde mit dem Wissen, einen Job bekommen zu haben, weil sie eine Frau ist. Alle wollen wegen ihrer Qualifikation genommen werden, nicht wegen der Quote. Dann wurde FidAR – Frauen in die Aufsichtsräte gegründet, das ist ein großartiges Netzwerk in Deutschland, das sich dafür eingesetzt hat, dass es seit 2015 im Aufsichtsrat eine verpflichtende 30 Prozent-Quote gibt. Diese 30 Prozent sind in den DAX-Konzernen erreicht – und das innerhalb von fünf Jahren, während die freiwillige Quote für den Vorstand im gleichen Zeitraum bei niedrigen neun Prozent liegt. Das ist eine Faktenlage, der ich mich nicht verschließen kann.
Ihre Mutter hat Ihnen als Kind vermittelt, dass Sie vieles nicht schaffen könnten, weil Sie ein Mädchen sind. Wann haben Sie diese Leitsätze abgelegt?
Sie hat mir beigebracht, dass ich nichts geschenkt bekomme. Ich musste beweisen, dass ich klug bin, und mir alles „verdienen“. Sie hat mir damit vermittelt, was wichtige Führungskriterien – eine Haltung zu entwickeln und einen Standpunkt zu vertreten, Selbstführung zu trainieren, Verantwortung zu übernehmen und Durchhaltevermögen zu zeigen. Ich stand mit meinem Bruder im ständigen Wettbewerb. Ich habe damals auch gelernt, zu kämpfen und nicht alles zu akzeptieren, was mir mitgegeben wurde. Und, dass ich meine eigene Meinung finden muss. Unabhängigkeit im Denken, Handeln und im finanziellen Bereich sind mir überaus wichtig.

Sie gründeten mit 21 Jahren ein Einzelhandelsunternehmen. Sechs Jahre später kam die Pleite. Sie haben eine Liste für Ihre Zukunft erstellt, welche Punkte waren hier wichtig für Sie?
Mir war der Boden unter den Füßen weggerutscht, mir fehlte Sicherheit. Ich hatte Schulden, meine erste Ehe war gescheitert, ich musste 28 Mitarbeiter entlassen und wollte nie wieder in so eine Situation kommen. Mein Ziel war es, in einem Industrieunternehmen zu arbeiten, das eine lebenslange Weiterbildung ermöglicht, und in dem verschiedene Aufgaben wahrnehmen und daran wachsen kann. Dann habe ich mir noch vorgestellt, dass ich mir irgendwie eine Eigentumswohnung kaufen wollte, um eine Absicherung fürs Alter aufzubauen. Das war schon verwegen in einem Moment, in dem ich nichts mehr hatte. Heute darf ich hinter jeden Punkt einen Haken machen: Ziele erreicht.

Zum Abschluss: Welche Lehren zieht Beiersdorf aus der Coronakrise?
Wir haben zum Homeoffice eine Umfrage bei den Mitarbeitern durchgeführt. Homeoffice war eine sehr gute temporäre Lösung für eine Ausnahmesituation, in der über 10.000 Mitarbeiter weltweit vom Wohnzimmer- oder Küchentisch gearbeitet haben. Viele neue Erkenntnisse führten dazu, dass Vorbehalte für das Arbeiten im Homeoffice abgebaut wurden. Aber nur im Homeoffice zu arbeiten, gefährdet Unternehmenskultur, Teamgeist und Loyalität, die nur im direkten Austausch entstehen. Das darf uns nicht verloren gehen.