Krisen können Chancen sein, wird einem in dunklen Stunden aufmunternd zugeflüstert. Das zumindest dachte sich auch der oberösterreichische Möbelproduzent Hali und reagierte Ende März blitzschnell. Er produzierte innerhalb von sechs Tagen Homeoffice-Pakete bestehend aus Tisch, Drehstuhl und Schrank und belieferte damit die im Homeoffice nicht selten Rückenschmerz-geplagten Schreibtischtäter. Das Homeoffice ist wohl eine der größten Veränderungen, die das Coronavirus Mitte März Firmen, Chefetagen und Mitarbeitern bescherte. Nachdem nun viele mit Bedacht eine vorsichtige Rückkehr in die Büros wagen, stellt sich die Frage, welche Spuren Corona im Arbeitsalltag sowie unseren Wohn- und Esszimmern, die in Windeseile zwangsergonomisiert wurden, hinterlassen hat. Zukunftsforscher Andreas Reiter ist überzeugt, dass Covid-19 ein „enormer Beschleuniger“ all jener Dinge war, die schon in der Luft lagen – zum Beispiel der Digitalisierung. „Man muss sich das wie bei einem Brennglas vorstellen. Dinge, die im Wandel begriffen waren, haben sich blitzschnell verändert, weil es nicht anders ging.“ So wurde die Präsenzkultur bereits vor Maskenpflicht und Abstand-Anstand in zahlreichen Unternehmen hinterfragt. „Es wird sich hier ein situationselastisches ,Blended Working“ einpendeln. Man wird verschiedene Formate für unterschiedliche Bedürfnisse entwickeln müssen. Das ist natürlich alles sehr branchenspezifisch.“
Beim Chiphersteller Infineon setzte man schon vor der Corona-Pandemie auf Videokonferenzen und Teleworking-Modelle, wie Personalleiterin Christiana Zenkl erklärt. „Als Unternehmen der Digitalisierung konnten wir den abrupten Umstieg daher durchaus gut bewältigen. Wir haben in jenen Bereichen, wo es möglich war, auf Telearbeit umgestellt, im Schnitt bis zu 90 Prozent in einzelnen Abteilungen. Gleichzeitig wurden die Produktion und wichtige Labortätigkeiten unter Einhaltung der Abstands- und Hygienevorgaben weitergeführt.“ Seit Mai kehren die Mitarbeiter nun Schritt für Schritt aus der Telearbeit zurück.
Dienstreisen ins Inland sind möglich
Derzeit sind 60 Prozent der Infineon-Mitarbeiter wieder an den Standorten tätig. Auch Dienstreisen ins Inland sind möglich. Der globale Austausch findet aber noch per Video- oder Telefonkonferenz statt. „Erste Rückmeldungen zeigen, dass wir das virtuelle Arbeiten beherrschen, aber auch, dass viele die Arbeit im Team und die Gespräche neu zu schätzen gelernt haben“, so Zenkl. Derzeit werden konzernintern die Erfahrungen aus der Krisenzeit erhoben.
Gegenseitiges Vertrauen wuchs
Bilanz ziehen ist auch das Stichwort bei Cornelia Hubich-Schmon. In einer Umfrage haben sich die Arbeitspsychologin und ihre Kollegen von „research-Team“ ein erstes Bild über den Gefühlshaushalt von Homeoffice-Tätigen verschafft. Hierbei ergab sich ein ambivalentes Bild.
„In vielen Unternehmen gibt es eine durchaus positivere Haltung gegenüber dem Thema als vorher, in manchen jedoch auch eine negative.“ Positiver Effekt der Krise: Das gegenseitige Vertrauen wuchs. „Mitarbeiter lobten den sorgsamen Umgang mit Arbeitsplätzen, Führungskräfte, dass aufs Team Verlass ist – auch, wenn auf Distanz gearbeitet wird“, erklärt Hubich-Schmon.
Wird Karriere im Homeoffice möglich sein?
Arbeitsmedizinerin Eva Höltl leitet nicht nur den wissenschaftlichen Beirat der Akademie für Arbeitsmedizin und Prävention, sondern auch das Gesundheitszentrum der Erste Bank und muss ein Großraumbüro mit mehr als 4000 Mitarbeitern pandemiefit machen. Zum Thema Homeoffice wagt die Expertin schon einen ersten Blick in die Zukunft: „Es wird nicht die Lösung sein, Mitarbeitern nun statt einmal im Monat, zweimal in der Woche Homeoffice zuzugestehen. Ich denke, dass das nicht so einfach ist. Es geht um Fragen des Teambuildings, weil wir jetzt ja bestehende Teams, die sich schon kannten, ins Homeoffice verlegt haben. Wenn Homeoffice deutlich ausgeweitet wird, muss man auch überlegen, wie etwa Weiterentwicklung und Karriere möglich sein wird, wenn man im Homeoffice sitzt.“
Und dieses Arbeiten wird auch Auswirkungen auf unsere Innenstädte haben, ist Zukunftsforscher Andreas Reiter überzeugt. „Unternehmen haben in dieser Krise verstanden, dass sie wesentlich weniger Fläche brauchen werden und das ist ein enormer Kostenfaktor. Aus dieser Logik heraus werden sie Büroflächen reduzieren. Das wird Immobilienmanagement und Städte stark verändern.“