Führung erhält durch COVID-19 einen hohen Stellenwert, von den Spitzen unseres Staates über Konzernmanager bis zu Geschäftsführern und Inhabern mittlerer und kleiner Unternehmen. So unterschiedlich die Ausgangslagen sein mögen, so eindeutig ist das Ziel: Menschen sicher durch diese außergewöhnlichen Monate zu führen und auf die Zeit danach vorzubereiten.
Zweck von Führung
Dabei könnten sich Führungskräfte einfache Grundsätze in Erinnerung rufen, die in den letzten Jahren in den Hintergrund gedrängt wurden und im Führungsalltag an Bedeutung verloren haben. Ihre Relevanz wird sichtbar, wenn man bedenkt, welchen Zweck Führung verfolgt. Keinen anderen, als Menschen zu erreichen und zu bewegen. Führung wirkt dann, wenn sie das menschliche Betriebssystem, also eine Balance der drei großen Motivsysteme, berücksichtigt und wenn ihr humanistische Überzeugungen zugrunde liegen. Drei Schlüsselbegriffe stehen im Zentrum: Steuern, wertschätzen und verstärken.
- Steuern meint, Menschen dorthin zu bringen, wo sie alleine nicht hingelangen. Dieser Aspekt stellt die Leistung der Führenden in den Vordergrund. Durch deren Agieren sollen sich Menschen so verhalten oder entwickeln, wie sie es allein nicht geschafft hätten. Steuern repräsentiert die machtmotivierten Handlungen des Leaders – das Anordnen, Kontrollieren, Eingreifen, Korrigieren. Mächtig ist die Person, die es schafft, ihren Willen auf andere zu übertragen. Ein Chef in einer Firma bewegt seine Angestellten dazu, ein bestimmtes Ziel zu verfolgen. Die Bundesregierung setzt alles daran, dass sich die Bevölkerung an die verordneten Regeln hält.
Die entscheidende Frage, die sich dabei stets stellt: Wie geht ein Leader mit seiner Macht um?
Und als Voraussetzung für erfolgreiches Führen: Mit wem und wie teilt er sie?
Es war richtig, dass die Spitzen der Regierung um Sebastian Kurz zu Beginn der Corona-Krise selbst am Rednerpult standen, sich zeigten und informierten. Es stellt sich jedoch die Frage, weshalb die Bevölkerung später nicht direkt von Expertinnen und Experten aus erster Hand informiert wurde. Dafür mag es viele Gründe geben. Einer dafür liegt wohl in der mangelnden Bereitschaft, Macht zu teilen. - Wertschätzen stellt die Beziehung, die eine Führungskraft mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schafft, in den Fokus. Dabei gilt es jeden, als Individuum wahrzunehmen und herauszufinden, wie die Einzelnen „ticken“. Dadurch werden bindungsmotivierte Verhaltensweisen repräsentiert. Menschen spüren, ob man sie ernst nimmt, ob sie Bedeutung haben oder nicht. Wer Andere nicht als gleichwertige Partner wahrnimmt, die das Recht besitzen, ihre Ziele zu verfolgen, vermag sie nicht zu führen. Man kann sich zwar durch großen Machteinsatz an der Spitze halten, eine echte Gefolgschaft, ein Team wird sich so jedoch nicht entwickeln lassen.
Um Balance als Führungsstrategie umzusetzen, kann man sich an fünf einfachen Grundsätzen orientieren, die eine gute, auf einer humanistischen Grundlage basierende Führung auszeichnen.
- Optimistisch und positiv sein
Leader, die Menschen erfolgreich durch diese Krise führen und auf die Zeit danach vorbereiten, haben die Verpflichtung, sich selbst positiv zu stimmen, denn: Wenn wir gut drauf sind, schaffen wir mehr. Das ist gerade heute eine besondere Herausforderung. Dabei hilft eine hohe Selbstwirksamkeit, die Überzeugung, selbst etwas beeinflussen und bewirken zu können.
Optimistische Führungskräfte denken in Möglichkeiten und Lösungen und sind offen, Neues zu wagen und zu lernen. Diese positive Grundeinstellung ist die Voraussetzung dafür, andere zu begeistern und zu übergeordneten Zielen zu bewegen. - Mutig sein
Gerade in diesen Tagen brauchen wir Leader, die Entscheidungen treffen, obwohl sie damit riskieren, Fehler zu machen oder gar zu scheitern. Mut ist so bedeutsam, weil dahinter das mentale Konzept „Wir sind, was wir denken“ steckt. Wenn ein Leader selbst mutig agiert, wird er auch andere dazu bewegen. Zurzeit werden Menschen von vielen Ängsten geplagt: dass sie sich mit dem Virus infizieren, ihren Job zu verlieren, geliebte Menschen erkranken und wie es danach wohl weitergeht. Gerade deshalb benötigen wir Führungskräfte, die anderen Mut geben.
Ein wenig so, wie Eltern, die ihre Kinder, wenn sie in der Nacht schlecht schlafen und zu ihnen ins Bett kommen, beruhigen und vom Sonnenaufgang am nächsten Morgen erzählen. - Vertrauen gewinnen und geben
Vertrauen ist die große Klammer, die alle Grundsätze des Führens zusammenhält. Menschen vertrauen jenen Leadern, die einerseits zeigen, dass sie die Herausforderungen meistern, andererseits für Transparenz und Offenheit sorgen. Deshalb ist es unklug, dass die Bundesregierung die Experten, von denen sie beraten wird, nicht öffentlich macht. Vertrauen erlangt man, wenn man sich öffnet und von sich etwas hergibt, die anderen als Individuen wahrnimmt und aktiv miteinander kommuniziert. Es zeigt sich aber auch darin, was man Anderen zutraut, welche Kompetenzen und Handlungsspielräume man ihnen einräumt. Menschen spüren, ob man an sie glaubt. - Sich auf das Wesentliche konzentrieren
Die Corona-Krise führt uns drastisch vor Augen, was wirklich wichtig und von Bedeutung zu sein scheint. Dieser Fokus wurde mancherorts in der Zeit davor verloren. Nun gilt es, die wirklich wesentlichen Themen wieder in den Mittelpunkt des Handelns zu stellen. Was aber ist das „Wesentliche“?
Zunächst: für eine Balance von leistungs-, bindungs- und machtmotivierter Bedürfnisbefriedigung zu sorgen. Was wir brauchen, sind mehr Führungskräfte, die sich um Menschen kümmern, und weniger Manager, die Regularien und Verordnungen vorschreiben und sich dahinter verstecken.
Der zweite Teil der Antwort fällt schwerer, weil das Wesentliche stets subjektiv betrachtet werden kann. Deshalb sei hier ein besonderes Kriterium ausgewählt, nämlich jene Themen als wesentlich zu erachten, die man in der Führung selbst beeinflussen kann.
Das ist am Beispiel von COVID-19 leicht erklärbar. Solange wir glauben, das Problem sei „draußen“, in einem anderen Land, bei den anderen, ist genau das die Schwierigkeit. Man gibt dem, was „da draußen“ ist, die Macht, Kontrolle über einen zu haben. Führt man diesen Gedanken weiter, dann ergibt sich: „Was da draußen ist, muss sich verändern, bevor ich mich verändere“. Sich auf das Wesentliche zu konzentrieren bedeutet, jene Themen zu priorisieren, die man selbst unmittelbar beeinflussen kann, also eine Veränderung von innen nach außen. - Konsequent und klar sein
Dies lässt sich dann gut umsetzen, wenn es eine klare Vorstellung und positive Bilder davon gibt, was erreicht werden soll. Dabei geht ein guter Leader mit beispielgebender Entschlossenheit voran. Seine Leute wissen nicht nur, was er von ihnen erwartet und welche Grenzen ihre Handlungs- und Entscheidungsspielräume definieren, sondern auch, dass er dies beobachtet und kontrolliert.
Trotz dieser hohen Konsequenz bedient sich eine gute Führungskraft einer wertschätzenden Sprache. Der Terminus „wieder Hochfahren“, der dieser Tage zu lesen und hören ist, gehört nicht dazu. Man erinnere sich vielmehr an Ludwig Wittgenstein: „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt".
Sollten Politiker und Manager, die durch diese Krise führen, die Menschen tatsächlich nur als eine große, technische Menge verstehen, die es wieder in Gang zu setzen gilt und in der das einzelne Schicksal kaum Bedeutung hat, würde das so manches Versäumnis auf höchsten Führungsebenen und so manchen Missstand in unserer Gesellschaft erklären.
Jörg Zeyringer