Nomen ist nicht omen. Weißlich-blau liegt der Schwarzensee wie eine Milchglasscheibe, die eine andere, geheime Welt abtrennt, zwischen den angezuckerten Bergen des Kleinsölktals. Die Luft gefriert zu weißen Wolken vor dem Mund, während das Kettensägenrattern sich unters Rauschen des Neualmbachs mischt. Eisernte ist.

Alle Jahre wieder, denkt man hier – wenn die Welt auf 1160 Metern zu Eis gefriert – schon an den nahenden Sommer. Eine Vorstellung, die bei bis auf die Knochen beißenden minus elf Grad wie Science Fiction wirkt. Genau wie die Tatsache, dass diese Art der Ernte früher zum Alltag gehörte.

Frostig

Nämlich in jenen Zeiten, in denen Gefrierschränke für Privathaushalte nicht leistbar waren – deswegen verwendete man Natureis aus gefrorenen Seen oder Flüssen. Mithilfe einer Zugsäge wurde es von Landarbeitern geschnitten und im sogenannten Eiskeller gelagert. Eine Tradition, die hier fortgesetzt wird – allerdings mit Motorsäge und Motorsägenwinde.

So haben die Gebrüder Bindlechner, beide Forstfacharbeiter, bereits zwanzig und dreißig Jahre Erfahrung darin. „Es ist eigentlich ganz einfach. Wir schneiden das Eis in Blöcken aus dem See, hieven es auf den Schlitten und stapeln es dann im Eiskeller. Dort kühlt es im Sommer Lebensmittel und Getränke“, sagt Klaus Bindlechner auf dem Weg zum Schwarzensee. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, bis zu vierzig Kilo schwere Würfel aus einem gefrorenen See zu schneiden wie ein Stück Käse aus einem Camembert.Der 53-jährige Klaus Bindlechner ist seit seinem 16. Lebensjahr als Forstfacharbeiter tätig. Ob er das schon immer wollte? „Früher ist man da nicht viel gefragt worden“, lacht er, während das Auto durch die Winteridylle holpert wie auf einer Marsexpedition. Immer in der Mittelkonsole: ein Fernglas.

Dieser Wald, besser bekannt als das Forstamt Gstatt bei Colloredo-Mannsfeld in Öblarn, ist sein Großraumbüro. Und auch seine Kollegen führen sich manchmal auf wie die Tiere, ganz einfach, weil sie welche sind: Hirsch, Gams, Rehbock und Auerhahn. „Circa 8000 Hektar“ umfasst das Gelände, meint der Forstfacharbeiter aus Stein an der Enns. Mit den Zahlen hat er es nicht so. Warum auch? Wenn es etwas zu tun gibt, wird es einfach gemacht, sagt er in klassischem Grün und bodenständigem Ennstalerisch.

"Außendienst"

Auf dem Weg lässt er seinen Kennerblick über die Hänge schweifen. Windwurf, Schadholz, Käfer – die Gesundheit des Waldes fällt in seinen Aufgabenbereich. Bäume, die der Wind einfach in der Mitte umknickt wie ein Streichholz, hinterlassen ihn immer noch sprachlos. „Der steht da ja total geschützt. Wie gibt es so etwas?“

Die Arbeit im „Außendienst“ mag für Schreibtischtäter romantisch klingen, aber es gebe nur noch wenige, die so wie er hauptberuflich als Forstfacharbeiter arbeiten. „Zu hart und zu gefährlich“, erzählt er auf dem Weg zum Schwarzensee, wo sein Bruder Engelbert – „Bertl“ und Thomas Zach – „Tom“ schon bei der Arbeit sind. Letztgenannter ist Herr über die Kettensäge und hat schon die Stiefel gewechselt. Sie stehen aus demselben Grund am Feuer wie sein Werkzeug – zum Auftauen. Aber ihm ist es eh lieber, wenn es „richtig frisch“ ist – „dann friert die Hose gleich ein“. Angaben der Landarbeiterkammer zufolge zählt die Steiermark 900, Kärnten 200 Beschäftigte im Forstbereich. Nur sieben Lehrlinge gibt es in der Grünen Mark. Martin Krondorfer ist Leiter der Forstlichen Ausbildungsstätte Pichl. Hier in St. Barbara im Mürztal kann man sich auf dem zweiten Bildungsweg zum Forstfacharbeiter ausbilden lassen. „Der Kurs, der gerade läuft, ist seit einem halben Jahr ausgebucht“, sagt er.

Die Anfragen seien so hoch wie noch nie. Nur seien die Absolventen nur noch selten hauptberuflich als Forstfacharbeiter tätig. „Vom Primar bis zum Landwirt, unsere Teilnehmer kommen aus den verschiedensten Bereichen. Die meisten sind aber Eigenwaldbesitzer. Viele haben einen Hof, den sie bewirtschaften. Es gibt aber auch viele, die Wald erben und denen es an der forstlichen Grundausbildung fehlt.“

Lehrinhalte des fünfwöchigen Kurses sind etwa: Erziehung des Waldes – welche Baumart passt zu welchem Standort? Wertschöpfung, Biodiversität und Forstschutz –, was kann man tun, damit der Wald möglichst klimafit aufwachsen kann? Und vor allem: „Arbeitstechnik und Unfallverhütung.“ Wenn Martin Krondorfer einen anderen Begriff für die Arbeit des Forstfacharbeiters finden müsste, würde er Manager und Gestalter eines gesunden Waldes wählen. „Nachhaltigkeit ist bei uns im Forstgesetz, wenn man es so bezeichnet, schon seit 1854 verankert. Man muss den Wald so bewirtschaften, dass auch die zukünftigen Generationen in Zeiten des Klimawandels davon leben können.“

Nachhaltig und schweißtreibend gestaltet sich unterdessen die Arbeit der drei Männer am schattigen Schwarzensee, denn es grenzt an Schwerstarbeit, die glänzend-matten Blöcke in den Eiskeller zu schlichten. Nach einer Woche wird der Keller aber gefüllt sein wie die Schatzkammer der Eiskönigin. In dem Animationsfilm „Frozen“ verdient die Figur Kristoff übrigens ihren Lebensunterhalt damit, Eis an das Königreich zu verkaufen.

Aber wer braucht schon Zeichentrick. Die Natur ist noch immer der beste Kulissenbauer.