Fehlschlagen, krummgehen, oder etwas verhunzen: Google kennt mehr als 637 Synonyme für das Wörtchen „scheitern“. Gesprochen wird darüber trotzdem nur ungern. Aber warum eigentlich? „Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der Blender die Überhand haben“, erklärt Gerhard Scheucher. „Am liebsten redet man über Glanz und Glimmer und die Sonnenseiten des Lebens.“Der Unternehmensberater und Sachbuchautor hat sich den Misserfolg zum Thema gemacht. Aus seinen Niederlagen und denen der anderen hat er gelernt. Seinen Erfahrungsschatz möchte er weitergeben.
„Heute wird mehr gescheitert als früher“, so seine Beobachtung. Schuld daran sei die gesellschaftliche Beschleunigung. „Früher hat eine Ausbildung ausgereicht. Heute ist das zu wenig, um im Arbeitsleben zu bestehen“, weiß Scheucher. Es gibt einen enormen Veränderungsdruck: Produkte, die heute in der Wirtschaft nachgefragt werden, verschwinden am nächsten Tag schon wieder vom Markt. Das führt dazu, dass Personen und Unternehmen heute rascher scheitern. Auch das Alter ist heute eine große Barriere für die Arbeitswelt. Zwar ist man mit 50 oder 60 an sich noch nicht alt, aber: „In unseren Köpfen hören wir das Alter und glauben, das wäre schon nahe dem Lebensende.“ Dabei müsse man das Bild der Älteren korrigieren, fordert der Experte. Auf ihre Erfahrung greife man fatalerweise viel zu selten zurück, was das Abfließen von Wissen zur Folge hat.
Die Gretchenfrage
Wissen, das die Nachrückenden nicht haben können. „Aus meiner Sicht passiert einer der größten Fehler dahingehend, dass Menschen aus dem Bildungssystem hervorgebracht werden, denen die Breite an Wissen fehlt.“ Die Berufseinsteiger wären punktgenau für die Anforderungen der Wirtschaft ausgebildet. Aber sollte diese Anforderung in dieser Form nicht mehr benötigt werden, verlieren sie ihre Arbeit. Die Gretchenfrage ist eine provokante. Ist das, was in Schulen und Universitäten vermittelt wird, auch das, was man zum Überleben auf dem Arbeitsmarkt braucht? Scheucher sieht da starken Aufholbedarf. „Wo lernt man Vernetztheit in einer vernetzten Welt? Wo lernt man Kommunikationsfähigkeit in einer Welt, die von Kommunikation getragen wird? Das, was man tatsächlich braucht, wird nur unzureichend gelehrt.“
Die Beständigkeit in unserer Welt sei verloren gegangen. „Was kein Grund ist, in Deckung zu gehen und in Angststarre zu verharren“, so der Experte. „Eher zu schauen, wo ich meinen Platz finde, um diese Veränderung positiv mitzugehen.“ Gegenwärtig wird eine Kultur des Scheitern zwar gerne als PR-Gag in der Unternehmensberatung festgeschrieben. Die Praxis ist allerdings eine andere: „Mir fallen nicht viele Unternehmen ein, die eine Kultur der zweiten Chance eingeführt haben oder Fehler sichtbar machen, um andere davor zu bewahren“, spricht er aus Erfahrung.
Katrin Fischer