Was sagen eine Drei in Deutsch und eine Vier in Leibesübungen über einen Bewerber aus? Ist das Zeugnis heute immer noch das Maß aller Dinge? Und vor allem: Kann man es sich als Unternehmen – in Zeiten des demografischen Wandels und Fachkräftemangels in vielen Branchen – überhaupt noch leisten, ganz genau auf die Noten zu schauen? Für dm-Geschäftsführerin Petra Mathi sind Noten „eines von mehreren Kriterien für die erste Runde des Auswahlprozesses“. Viel wichtiger sei es aber, das Gefühl zu haben, dass sich der Bewerber für den Beruf begeistert und „dass er die persönlichen Fähigkeiten für genau diesen Beruf mitbringt“. Kommunikationsfähigkeit, Empathie, in den Dienstleistungen handwerkliches Geschick zählt sie weiters als wichtige Voraussetzungen auf. Mehr als 10.000 Bewerbungen werden jährlich an sie geschickt, rund 300 Lehrstellen besetzt. „Noten spiegeln durchaus eine gewisse Lernfähigkeit oder Bereitschaft wider“, betont auch Alexandra Natascha Klampfer, HR-Profi beim Verpackungsspezialisten A&R. Aber: „Ein oder zwei schlechtere Noten fallen nicht negativ auf. Jeder hat Fächer, die ihm nicht liegen.“
Was also lesen Personalprofis aus einem Zeugnis heraus? „Ein Zeugnis ist nicht das Maß aller Dinge, aber es spielt eine Rolle“, sagt Alexandra Natascha Klampfer. Immerhin müsse auch die Berufsschule im Laufe der Lehre positiv abgeschlossen werden.“ Doch Noten an sich „sagen sehr wenig über den Bewerber aus“, ist Petra Mathi überzeugt. Wenn jemand sehr gute Noten habe, sei das ein Indiz für Leistungsorientierung, Begabungen und Interessen. In vielen Einzelfällen hätten aber „persönliche Umstände einen größeren Einfluss auf die Schulnoten. Deshalb ist es wichtig, Menschen persönlich kennenzulernen, damit sich die künftigen Führenden ein Bild machen können.“
In die gleiche Kerbe schlägt auch Claudia Peters, Personalmanagerin Diakonie de La Tour: „Noten beurteilen für mich nicht nur den Schüler, sondern auch den Lehrer. Wie kann er/sie den Stoff vermitteln?“ Auf richtiges Deutsch oder – in Hinblick auf eine Karriere in einem internationalen Betrieb – Englisch wird allerdings Wert gelegt: „Wenn jemand keinen fehlerfreien Satz schreiben kann, ist das in jedem Lehrberuf ein Thema“, sagt Alexandra Klampfer. Doch auch hier gebe der Lehrberuf die Gewichtung vor. „Bei einem Drucktechniker ist gutes Englisch nicht so wichtig, bei Industriekaufmann/frau kann das anders sein.“ Ein gewisser Mindeststandard in Rechtschreibung sei in jedem Beruf hilfreich, betont Petra Mathi: „Vor allem vor dem Hintergrund, dass unsere Drogistenlehrlinge von heute unsere Filialleiter von übermorgen sind.“ Doch kommunikative Fähigkeiten punkten auch hier vor perfekten Sprachkenntnissen.
Ob Noten als Instrument taugen, um auch im späteren Karriereleben zu messen, wie eine Person tickt? Petra Mathi schüttelt den Kopf: „Die Persönlichkeit eines Menschen kann man nicht über die Noten kennenlernen, sondern nur, indem man am besten einen Tag mit ihm zusammenarbeitet.“
In einer Hinsicht seien Noten bei der Bewerbung allerdings auch hilfreich, nämlich um herauszufinden, „was ein Bewerber gut kann oder wo seine Interessen liegen“, sagt Alexandra Natascha Klampfer.
Birgit Pichler