Ich sage es ungern, aber der gut beleumundete, auch von mir leidlich geschätzte Geheimrat Johann Wolfgang Goethe hat mich zweimal im Vorhinein nachgeäfft. Gott sei Dank waren seine Kopien liebloser geschrieben als meine Originale.
Beispiel 1
In Gedanken an die Smaragde meiner Wachauer Winzer-Freunde Pichler, Hirtzberger, Knoll, Bodenstein und Jamek hatte ich den Satz geschrieben: "Das Leben ist zu kurz, um nicht die besten Weine zu trinken." Die Tinte war noch nicht trocken, als ich in Goethes Werken heimtückisch den Satz eingeschoben fand: "Das Leben ist zu kurz, um schlechte Weine zu trinken." Das ist zwar blasser und wirklich nicht das Gleiche, aber ärgerlich war es doch.
Beispiel 2
Genauso kränkte mich ein ähnlicher Vorfall bald danach. Ich hatte nach jahrelangem Studium des Glücks herausgefunden, wie wir unseren Tag gestalten müssen, damit wir am Abend stärker sind als in der Früh. Ich erfand die "Mischkunst des Lebens". Was soll ich sagen? Abermals dauerte es nicht lange und ich fand in Goethes sogenannter Jugend-Biografie (schlauer Titel: "Dichtung und Wahrheit") meine Mischkunst wieder. Zwar auch diesmal fader formuliert, aber wiederum lästig. Ehe ich Wort für Wort auf seine Version eingehe, greife ich unter die Wurzeln. Worum geht es?
Sonnige Aura bewahren
Die Souveränität eines Erfolgsmenschen ist an innere Ruhe und positive Ausstrahlung gebunden. Die meisten Männer können keine sonnige Aura aufbauen, weil sie schattig leben. Sie gehorchen einem falsch verstandenen Ideal der Pflichterfüllung. Sie kennen nur Arbeit und Schlaf. Dies ist kontraproduktiv und wird durch zwei Nachteile entstellt.
Erstens ist der Wirkungsgrad schlecht. Wer keine Pausen und Glücks-Inseln kennt, ist zwar redlich erschöpft, bringt es aber weniger weiter, als er könnte. Zweitens stauen sich in den Arbeitstagen alle Sehnsüchte nach dem schönen Anderen, das man sich im Leben noch wünscht.
Jenes Schöne, das durch blinden Workaholismus nicht zum Zug kommt, wird von den Wochentagen aufs Weekend verlegt. Dort finden sich aber andere Verpflichtungen, weshalb das vernachlässigte Schöne an den Urlaub delegiert wird. Dort funktioniert es wieder nicht, weil in riesigen Klumpen zu viel nachgeholt werden soll. Das Schöne, mit Stress gesucht, bleibt nicht schön, sondern wird Stress, weshalb auch die meisten Scheidungen in hektischen Urlauben wurzeln. So wird am Ende alles Schöne, nach dem man Sehnsucht hatte, aber niemals auslebte, hoffnungsvoll in den Ruhestand verlegt, den man mit dieser Lebensweise leider nicht erlebt. Allerdings kann man selbst in späten Jahren noch die Notbremse ziehen und richtig reagieren.
"Carpe diem"
Ein kugelrundes, erfülltes Leben verlangt zwingend eine Mischkunst des Alltags. Eine erste Idee gab "Carpe diem", jene lateinische Redewendung, die wir einer Ode des römischen Dichters Horaz (65-8 v. Chr.) verdanken. Sie besagt: "Nütze den Tag" oder "Pflücke den Tag". Das heißt zunächst nur: den Tag bewusst als weiteres Geschenk anzusehen, nicht als Last.
Eine Vollendung erfährt der Tag dann, wenn man kleine Portionen der innerlich wichtigen Dinge einbringt. Aus Gründen der Authentizität nehme ich mein eigenes Beispiel: Lachen mit der Herzallerliebsten, ein Konsolen-Spiel gegen die empörten Söhne hoch gewinnen, zehn Seiten Weltliteratur lesen, ein Gemälde im neuen Sotheby's-Katalog genau besehen, eine Opernarie hören, ein Glas von einem bislang unbekannten Wein trinken, eine gute Fotografie oder Zeichenskizze schaffen, eine kleine Runde mit Fahrrad oder Bike - alles miteinander dauert keine zwei Stunden, entlässt mich aber mit dem dankbaren Gefühl in den Schlaf, nichts versäumt zu haben. Anfangs braucht dies viel Disziplin.
Platz für das Schöne schaffen
Auch zum Schönen muss man sich zwingen, denn jeder Arbeitstag scheint gerade der komplizierteste zu sein, der keine Minute für anderes freilässt. Später entdeckt man: Es geht. Man muss es nur wollen. Und so lang trainieren, bis es zur Selbstverständlichkeit und Sucht wird. Notfalls kann man ja weniger schlafen (...).
Dass die Zusammenstellung des Schönen für jeden anders aussieht, liegt auf der Hand. Jeder hat sein eigenes Glücks-Portfolio. Bei Goethe, meinem Nachahmer-im-Vorhinein, sieht es so aus: "Man soll alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen".
Eigentlich lernte ich nur einen Menschen kennen, der dieses Thema vertikal tiefer durchdachte und horizontal weiter durchlebte: Hans Denk, Seelsorger der Gemeinden rund um die prächtige Wehrkirche von Albrechtsberg, die im Waldviertel hoch über jener Wachau liegt, die er zum beträchtlichen Grimm seiner dortigen Freunde die "Cote d'Azur des Waldviertels" nennt. Er schafft eine Erweiterung der täglichen Freuden durch philosophische Studien und christliche Taten, die unsereins schon wieder als Last empfände. Und doch bleibt ihm noch Kraft, der beste Langzeit-Botschafter des Weines zu sein, der in allen Medien gern gelesen, gehört und gesehen wird. Ihm verdanke ich den Tipp, jeden Tag mit einem Glas eines mir unbekannten Weines zu impfen, um meinen untalentierten Gaumen mit täglicher Mühewaltung zu sensibilisieren.
Die Spannweite des Hans "Weinpfarrer" Denk ist eine Latte, die man nicht erreicht. Doch wartet auch auf uns Normale, deren "Mischkunst des Lebens enger ausfällt, am Ende des Regenbogens ein Topf voll Gold beziehungsweise Zufriedenheit und Energie.
Fazit
Stellen Sie die Top Ten jener Tätigkeiten zusammen, die Sie zuverlässig glücklich machen. Dopen Sie damit Ihren Tag, aber wirklich täglich. Homöopathische Mengen genügen.