Als der Zug die Brücke der alten Bahntrasse in Stein bei Seidendorf überquert, steht Rafal Merecik (36) aus Polen mit Warnweste und seinem Funkgerät in der Hand genau darunter. "Ich achte darauf, dass der Dumper-Fahrer freie Fahrt hat." Der Dumper, ein Kippwagen für Erdtransport, verlässt gerade mit dem Restbeton den noch nicht fertiggestellten Tunnel. Je näher man sich zu dessen Portal hinbewegt, desto kälter wird es auch. "Wenn ich länger drinnen bleiben muss, brauche ich zusätzlich eine Jacke", sagt Merecik.
Sechs Grad sind es im 2,1 Kilometer langenTunnel Stein, dem drittlängsten Tunnel der Koralmbahn. "Beim Ostportal wird gerade die feste Fahrbahn fertiggestellt. Ein Gleis ist schon fertig, das zweite folgt noch. Ab April 2023 wird die alte Bahntrasse abgetragen, für etwa neun Monate ist diese Strecke dann gesperrt", gibt Projektkoordinator Thomas Herzeg bekannt. Als Baustraße dient die unweit entfernte neue Draubrücke. Sie ist mit ihren rund 600 Metern Länge die längste Eisenbahnbrücke in Kärnten. "Es wurde ein spezielles Taktschiebeverfahren angewendet. Die einzelnen tonnenschweren Brückenabschnitte wurden mit hydraulischen Pressen von Pfeiler zu Pfeiler über den Fluss geschoben", sagt Herzeg.
Im August 2023 sollen in diesem Bereich der Koralmbahn-Strecke bereits die ersten Testfahrten mit Tempo 250 starten.
"Hier, wo wir gerade stehen, floss ursprünglich noch die Drau. Diesen Bereich mussten wir aufschütten, es waren rund 100.000 Kubikmeter", sagt Herzeg. Für die Eingriffe in den Naturraum in der Seidendorfer Au errichteten die ÖBB in der Brenndorfer Bucht in St. Kanzian ökologische Ausgleichsflächen. "Es ist wichtig für uns, dass wir für die Tier- und Pflanzenwelt Ersatzflächen schaffen. Wir geben in etwa das Doppelte der verbrauchten Fläche zurück. Wir haben auch Nistkästen für die Fledermäuse sowie Maßnahmen zum Schutz der Vögel entlang der neuen Koralmbahn-Strecke errichtet", weiß Herzeg. Der aufgeschüttete Bereich, in Zukunft auch ein Aussichtspunkt, ist mit einem grünen Zaun abgesperrt und bietet auch einen wunderschönen Blick auf das gegenüberliegende Fischerdorf und den Drauradweg.
Plötzlich schaltet die Baustellenampel von Grün auf Rot. "Die Höhenkontrolle wurde ausgelöst", sagt Herzeg. Der Auslöser ist schnell gefunden, es liegt an den Erschütterungsschutzmatten, die gerade vom Lkw abgeladen werden. Herzegs Blick geht in Richtung Tunnelrettungsplatz. "Diese gibt es bei jedem Tunnel, bei größeren sogar auf jeder Seite. Über sie können die Einsatzkräfte direkt in den Tunnel fahren", weiß Herzeg. Bei den Einsatzkräften handelt es sich um die örtliche Feuerwehr, die im Ernstfall einschreiten würde. Die Ausrüstung stellen ihnen die ÖBB zur Verfügung. "Es ist gut investiertes Geld, da die Ausrüstung auch bei anderen Einsätzen verwendet werden kann", sagt Herzeg.
"Betreten der Baustelle verboten. Eltern haften für Kinder!" Hinter diesem Warnschild befindet sich die Großbaustelle für den neuen Bahnhof in St. Paul im Lavanttal. Dieser liegt beim 6,1 Kilometer langen Granitztaltunnel, dem zweitlängsten Tunnel der Koralmbahn, und soll ebenfalls Ende 2023 in Betrieb gehen. Insgesamt 318.000 Laufmeter Kabel, 90.000 Laufmeter Leerrohre und 1720 Laufmeter Bahnsteigkanten werden am Bahnhof verlegt. In einem Kübel mit Wasser mischt Spachtler Alexandru Marian Cocis (22) aus Spittal im zweigeschossigen – noch nicht bezugsfähigen – Betriebsgebäude gerade den Rigips an. "Die Mitarbeiter des zukünftigen 'Anlagen-Service-Centers' kümmern sich um die Erhaltung der Gleisanlagen und Tunnel", sagt Baumanager Franz Kühweidler. Rund 60 Leute sollen beschäftigt werden, inklusive interner ÖBB-Einsatzkräfte, die im Notfall die Rettungskette in Gang setzen.
Auf der Baustelle gilt Vorsicht, immer wieder sind Lkw und Bagger unterwegs. Physiklaborantin Angelika Wiedner (22) aus der Steiermark schiebt eine Scheibtruhe mit zwei vollgefüllten Kübeln voller Beton. "Ich führe eine Qualitätskontrolle durch, überprüfe unter anderem die Konsistenz." Als Frau unter den vielen Männern fühle sie sich wohl: "Mit dem manchmal raueren Ton muss man aber schon umgehen können."
Während Bahnsteig 1 und 2 noch "geboren werden müssen", nehmen Bahnsteig 3 und 4 schon Form an. "Der Bahnsteig hat eine Länge von 420 Metern. Diese benötigen wir bei den langen Railjets, um sorglos ein- und aussteigen zu können", sagt Kühweidler. Zu den jeweiligen Bahngleisen sind es rund 40 Stufen, die beim Personendurchgang bestiegen werden müssen. Für mobilitätseingeschränkte Personen stehen Aufzüge zur Verfügung.
"Der Bau ist sehr komplex. Zum Schluss werden die maschinellen Be- und Entlüftungsanlagen im Tunnel angebracht. Durch die Absauganlage können rund 250 Kubikmeter Rauch pro Sekunde ins Freie geschafft werden", informiert Projektkoordinator Markus Höhndorf.
5,5 Milliarden Euro werden in die rund 130 Kilometer lange Koralmbahn, sie soll 2025 fertig sein, investiert. 45 Minuten dauert dann die Zugfahrt von Graz nach Klagenfurt. "Ein Jahrhundertprojekt. Die Bahn verbindet nicht nur die Steiermark und Kärnten, sondern auch wichtige Wirtschaftsräume", informiert ÖBB-Pressesprecher Herbert Hofer.