Den 14. August 2021 werden Georg Riepl und seine Familie nie vergessen: Gegen 6.30 Uhr läutete ein Polizist an der Haustüre in der steirischen Gemeinde Neumarkt. "Ihr Sohn ist bei einem Unfall schwer verletzt worden", sagte der Beamte. "Da zieht es dir den Boden weg", erinnert sich Riepl. "Ich bin zum Fenster und habe geschaut, ob Daniels Auto da ist." Es war da. Aber dennoch war alles schlimm.
Sein 25-jähriger Sohn war zu dem Zeitpunkt schon ins Klinikum Klagenfurt geflogen und in künstlichen Tiefschlaf versetzt worden. Dass er überlebt hat, hat er zwei Urlaubern zu verdanken. Die Wiener waren auf dem Weg auf den Zirbitzkogel, um sich den Sonnenaufgang anzusehen. Gegen 3.45 Uhr mussten sie ihren Wagen anhalten, auf der Gemeindestraße lag "etwas". Es war Daniel Riepl. Blutüberströmt und lebensgefährlich verletzt.
Laut Ermittlungen hat ein unbekannter Autolenker den Fußgänger in Mühlen angefahren und mit dem Auto mitgeschleift. "Schlimm genug", sagt Georg Riepl. "Aber er hat unseren Sohn einfach zurückgelassen und ist weitergefahren. Ohne ihm zu helfen, ohne die Rettung anzurufen", sagt er und kämpft mit seinen Emotionen. "Ein Wildunfall wird gemeldet, ein schwer verletzter Mensch nicht. Das kann ich nicht verstehen."
Kommentar
Schreckliche Bilder
Dass sich der Lenker bis heute nicht gemeldet hat, dass er noch nicht gefunden werden konnte, beschäftige die Familie, Verwandte und Freunde nach wie vor, so Riepl. Das sei auch ein Grund, warum er jetzt öffentlich über den Unfall redet. "Es dreht sich alles um die Frage: Warum hat er unseren Sohn halb tot liegen lassen?" Viele Monate hätten er und seine Frau nicht in die Nähe der Unfallstelle fahren können. Zu schlimm waren die Bilder. "Musste ich in die Gegend, habe ich einen Umweg gemacht", sagt der Elektriker. "Wenn ich an der Straße vorbeikomme, sehe ich immer noch die Blutspuren unseres Sohnes. Das ist schwer auszuhalten."
Jeder könne Fehler machen, aber man müsse dazu stehen und Verantwortung übernehmen. Auch Daniels Freunde such(t)en nach dem Unfalllenker, nach dem Auto. Bisher noch vergeblich.
Offene Fragen
Der Fehler des Unbekannten hat Georg Riepls Sohn fast das Leben gekostet: Eine Körperseite war vom Kopf bis zur Hüfte komplett zerstört. Rechte Gesichtshälfte, rechte Hand waren bis auf die Knochen verwundet. Der 25-Jährige hat Unmengen Blut verloren. Die Folgen einer Horrorfahrt, die über 200 Meter gegangen ist. Eingeklemmt im rechten vorderen Radkasten wurde das wehrlose Opfer über die Gemeindestraße mitgeschleift. Irgendwann hielt der Lenker an, fuhr ein Stück zurück und flüchtete. "Gefunden wurde Daniel aber nicht rechts vom Autolenker gesehen, sondern links", wundert sich seine Tante Renate Goritschnig. "Da er sich mit seinen schweren Verletzungen wohl nicht mehr bewegen konnte, kann es sogar sein, dass ihn der Autolenker noch weggezogen hat, ehe er geflüchtet ist."
"Grias eich"
Beweise gibt es dafür keine. Auch keine weiteren Zeugen. Das Opfer hat keine Erinnerungen an den Unfall. "Als wir ihn im Klinikum Klagenfurt besuchen konnten, war er fast komplett zugedeckt. Das musst du einmal verkraften, dein Kind so zu sehen", sagt Riepl. Dreieinhalb Wochen lag der 25-Jährige im künstlichen Tiefschlaf, nach etwa zwei Wochen wurde er operiert. Von 7 bis 21.30 Uhr dauerte der Eingriff, bei dem dem Opfer unter anderem Haut aus seinem Oberschenkel ins Gesicht und an die Schulter transplantiert worden sind, so der Vater, der sich noch an die ersten Worte seines Sohnes erinnert, als er aus dem künstlichen Tiefschlaf aufgeweckt worden ist: "Grias eich!"
Großer Kämpfer
Daniel sei psychisch irrsinnig stark, ein Kämpfer, so Georg Riepl. Das, seine Geduld und seine gute körperliche Verfassung hätten sehr zu seiner Genesung beigetragen. Nach genau 100 Tagen konnte der 25-Jährige das Klinikum verlassen. "Gott sei Dank, ohne Dauerschäden im Gehirn oder bei der Motorik. Ein Wunder, so wie er beinand war", sagt Riepl.
Derzeit ist Daniel Riepl auf Rehabilitation, vor allem, um seine Schulter wieder beweglich zu machen, Muskeln aufzubauen. Zumindest vier Monate wird das dauern. Im Herbst steht ihm eine große plastische Operation im Gesicht bevor. "Die Ärzte haben gesagt, dass auch das alles wieder wird", sagt der Elektriker. "Dass es Daniel wieder besser gehen wird, ist das Allerwichtigste."
Fragen bleiben
Aber wenn derjenige ausgeforscht wird, der seinem Sohn das angetan hat, hätte Georg Riepl dennoch zwei Fragen: "Was ist passiert? Warum haben Sie Daniel nicht geholfen?"