„Sogar, um nach Lienz in die Stadt zu fahren, trug man immer ein spezielles Gewand“, weiß Marianna Oberdorfer zu berichten und führt dabei einige Trachten vor, die früher bekanntlich alltägliche Kleidungsstücke waren. In den einfachsten Ausführungen trugen Frauen diese Kleider bei ihrer Arbeit. Der breite Schurz schonte dabei das wertvollere Beinkleid. Die aufwändigsten Trachten, ergänzt mit ausgefallenen Hüten und kostbaren Tüchern in Farben, die dem Anlass entsprachen, wurden dagegen nur an den Fest- und Feiertagen ausgeführt. Über Jahrzehnte hat Marianna Oberdorfer Trachten und Einzelstücke aus ganz Osttirol zusammengetragen, um diese Kulturgüter eines Tages in einem Buch zu würdigen.

Die kostbaren Hüte waren aufwändig geschmückt
Die kostbaren Hüte waren aufwändig geschmückt © Christoph Blassnig

Verein „Handwerkskunst und Trachtenkultur in Osttirol“

Vorerst hat Oberdorfer als Obfrau den Verein „Handwerkskunst und Trachtenkultur in Osttirol“ gegründet, um auf die Vielfalt der Trachten in Osttirol hinzuweisen und den Erhalt und die Weiterentwicklung der Trachtenkultur anzuregen. In der ersten Ausstellung des Vereins vom 6. Juli bis zum 1. September widmet sich Oberdorfer im Saal des Kulturhauses Sinnron in Dölsach den Trachten des Lienzer Talbodens. Auch Vorträge und Workshops werden angeboten.

Ein markanter Stehkragen kennzeichnet diese Lienzer Tracht
Ein markanter Stehkragen kennzeichnet diese Lienzer Tracht © Christoph Blassnig

Von Kindheit an mit Trachtenkleidern verbunden

Albin Egger Lienz hat im Gemälde „Der Porträtmaler auf dem Lande“, 1891, eine Szene festgehalten, in der eine junge Frau in einem Trachenkleid einem Portraitmaler Modell sitzt. „Dieses Kleid auf dem Bild habe ich gesehen und nachgeschneidert“, stellt Oberdorfer ihre Begeisterung für die traditionellen Gewänder unter Beweis. „Mich fasziniert die Geschichte all dieser Kleidungsstücke. Wir müssen die Vielzahl unserer Trachten und ihre Traditionen in die Zukunft fortführen.“ Die Szene aus Albin Eggers Gemälde dürfte einen Erker der Tamerburg als Hintergrund haben.

Marianna Oberdorfer beim Vorbereiten der Ausstellung im Kulturhaus Sinnron
Marianna Oberdorfer beim Vorbereiten der Ausstellung im Kulturhaus Sinnron © Christoph Blassnig

Marianna Oberdorfer erinnert sich mit glänzenden Augen an ihre Mutter. Diese war zwar keine ausgebildete Schneiderin, besaß aber die Handfertigkeit und das Gespür, um für sich und Bekannte Trachtenkleider anzufertigen. „Ratsch. Ratsch. Ratsch. Ich höre immer noch, wie meine Mama am Tisch saß und die Stoffe mit der schweren Schere zurechtschnitt“, erinnert sich die Schneidermeisterin. Für die staunende kleine Marianna war klar: „Das will ich auch einmal machen.“

Längst führt Tochter Anna das Schneiderhandwerk fort. Die Nachfolgerin interpretiert Traditionen neu und übersetzt die Funktionskleidung in moderne Schnitte. Zwei ihrer Neuinterpretationen sind in der Ausstellung zu sehen.