„Apfelstrudel esse ich gerne. Das schmeckt mir wirklich sehr gut“, lächelt Karina Gavryuchenkova, wenn man sie nach der österreichischen Küche fragt. Ihre Lieblingsspeise bleibt aber Borschtsch, eine kräftige Suppe mit Gemüse und Fleisch. Zusammen mit ihrer Mutter ist die heute Fünfzehnjährige einen Monat nach Beginn des Angriffskriegs Russlands aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew geflohen. „Unser Ziel war Lienz. Eine Verwandte hatte uns von dieser kleinen Stadt erzählt.“ In Lienz leben die beiden Frauen mit anderen Ukrainerinnen zusammen.
Die Schülerin hatte in ihrem Heimatland fünf Jahre lang Englischunterricht erhalten. Deutsch musste sie nach ihrer Ankunft in Osttirol erst erlernen. „Sprachen liegen mir. Vielleicht kann ich einmal Dolmetscherin werden oder Architektin.“ Die Jugendliche zeichnet nämlich gerne und bastelt Modelle aus Papier oder Holz. In wenigen Wochen schließt Karina die Mittelschule Egger-Lienz ab. Im Sommer kehrt sie mit ihrer Mutter in die ukrainische Hauptstadt zurück.
Man lebt in Kiew mit dem Krieg
„Ja, es gibt Krieg. Aber in der Hauptstadt ist es nicht so schlimm“, sagt sie. Ihr Vater war in Kiew geblieben. Die drei telefonieren ein- bis zweimal in der Woche. Täglich wird in Kiew für sechs Stunden der Strom abgestellt, weiß Karina. „Manchmal kann mein Vater deshalb nicht kochen.“ Er freue sich sehr auf die Rückkehr seiner Familie und bereitet gerade eine sanierungsbedürftige Wohnung vor, die noch in Sowjetzeiten errichtet worden ist.
Fliegeralarm wird Karina bald wieder hören, und zwar täglich. „Die Menschen haben sich daran gewöhnt. Sie denken, dass es nicht aufhört, bis Russland unser Land verlässt. Bis dahin kann man das nicht ändern. Man muss leben und hoffen, dass nichts passiert.“ Der Entschluss zur Rückkehr steht felsenfest. „Ich muss noch die zehnte und die elfte Schulstufe besuchen. Das geht nur bei Anwesenheit in der Schule.“ Über das Internet konnte die Jugendliche bisher an Online-Unterrichtsstunden aus ihrer Heimat teilnehmen, wenn sie nicht in der Mittelschule war. Karina saß dann immer daheim an einem Laptop. Ihre „Online-Klassenkollegen“ leben zum Beispiel in Deutschland, in Litauen oder in Kroatien. „So haben wir uns ausgetauscht und gemeinsam gelernt.“
Die Zeit in Lienz bleibt in Erinnerung
Die Stadt Lienz werde sie tief in ihrer Erinnerung behalten. „Vor einer Woche waren wir mit der Schule auf der Moosalm und beim Tristacher See. Es gibt hier schöne Natur und gute Luft. Das werde ich in Kiew nicht haben. In der Großstadt gibt es wenig Bäume.“ Auch die Schule und ihre Freunde in Osttirol werde sie sehr vermissen, gesteht Karina. Es sei ihr und ihrer Mutter hier sehr gut ergangen. „Man hat uns Möbel gebracht, Essen, Kleidung, als wir hier angekommen sind. Ich weiß, dass ich eines Tages noch einmal hierherkomme. Darauf freue ich mich. Außerdem möchte ich reisen und in Zukunft viele Länder Europas kennenlernen.“