Es war im Jahr 1966. In Strassen feierte man innerhalb weniger Wochen gleich zweimal Primiz, nämlich zuerst jene von Peter Mayr, dann jene von Franz Mayr. Die zweite Priesterfeier fand unter freiem Himmel statt. Für diese Feldmesse fertigte der Maler Oswald Kollreider eigens ein „Altarbild“: Es zeigt den gekreuzigten Erlöser, der sich erbarmend zum knieenden Menschen neigt.
„Angeregt durch die Berichte über das Fastentuch von Michael Hedwig, das heuer in der Fastenzeit erstmals in der Pfarrkirche St. Andrä in Lienz den gesamten Hochaltar verdeckt hielt, habe ich mich im Archiv meines verstorbenen Großonkels auf die Suche gemacht und bin dabei auf dieses jahrzehntealte Altarbild von Franz Mayrs Primiz gestoßen“, berichtet der Strassener Mesner Andreas Kollreider, der den Nachlass seines kunstbegabten Verwandten betreut. „Immer noch auf einem Rahmen aufgespannt, zeigte es an den Rändern leichte Beschädigungen. Wir haben das Gemälde vom Rahmen genommen und die Seiten umgenäht.“ Das Bild verwandelte sich dadurch in ein Fastentuch, das bis Ostern erstmals das Hochaltarbild der Dreifaltigkeitskirche in Strassen verdeckt. Es misst 3,70 Meter in der Höhe und 1,90 Meter in der Breite.
Monumentales Fastentuch Michael Hedwigs bleibt in Lienz
Michael Hedwig bestätigt Gespräche mit dem Lienzer Dekan Franz Troyer, sein monumentales Fastentuch auch für die kommenden Jahre in Lienz zu belassen. „Es passt wirklich hervorragend in den Altarraum der gotischen Pfarrkirche St. Andrä. Ich kann mich mit dieser Idee sehr gut anfreunden und werde über die Ostertage heuer ohnehin in Osttirol sein. Dann können wir Details dazu klären.“
Der selbst aus Lienz stammende Künstler Hedwig schuf das elf mal sieben Meter große Gemälde im Jahr 2010 als Auftragswerk für die Dompfarre in Innsbruck. Es besteht aus drei Stoffbahnen, die vor Ort zusammengeheftet werden. Zweimal hing das Fastentuch im Dom, in den vergangenen drei Jahren war es in der Michaelerkirche in Wien zu sehen.
Michael Hedwig blieb bei der Bildkomposition seinem Leitthema „Körper“ treu. Das Fastentuch zeigt Figuren auf vier Etagen. Der Künstler verband zwei biblische Motive: Einmal die Vision des Propheten Ezechiel, der schildert, wie tote Gebeine aus der Erde herauskommen und vom Geist Gottes neu erweckt werden. Dazu stellt Hedwig die Verklärung Jesu, die alljährlich am zweiten Fastensonntag als Evangelium verkündet wird.
Virgener Fastentuch im Archiv des städtischen Museums
Seit der Eröffnung des Museums Schloss Bruck im Jahr 1943 diente das Virgener Fastentuch dort im ehemaligen Rittersaal als zentrales Ausstellungsstück. Im Zuge des Umbaus für die Landesausstellung im Jahr 2000 wurde das jahrhundertealte Kunstwerk abgenommen und kam ins Archiv. Das kunstvoll gestaltete Werk des Lienzer Malers Stefan Flaschberger besteht aus 42 biblischen Einzelmotiven und wurde erstmals am „Sambstag vor Laetare im 1598 Jar“ in der Virgener Pfarrkirche installiert. Es ist also 426 Jahre her, seit es zum ersten Mal aufgezogen war.
Zuletzt wurde es im Jahr 2010 im Rahmen der Ausstellung „GOTIK:BAROCK. Schätze aus dem Pustertal“ auf Schloss Bruck öffentlich ausgestellt. Damals konnte das fast 36 Quadratmeter umfassende Werk erstmals nicht nur in Ausschnitten, sondern in seiner Gesamtheit gezeigt werden. Martina Spiegl, Gemälderestauratorin des Museums, und ihre Kollegin Hilde Neugebauer, eine Textilrestauratorin, unterzogen das Fastentuch damals einer fachgerechten Restaurierung und Konservierung.
„Wieder schätzen lernen, was man nicht mehr sieht“
Angesprochen auf die Bedeutung von Fastentüchern, erinnert der Lienzer Dekan Franz Troyer an die Worte der Karfreitagsliturgie: „Und der Vorhang des Tempels zerriss in zwei Stücke, von oben bis unten, bevor Jesus laut die Worte sprach: Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist!“ Man verbinde damit die Vorstellung, der Tod Jesu eröffne den Zugang zum Allerheiligsten. „Das Verhängen des Bekanntem und Gewohntem hat außerdem einen praktischen Nutzen: Wir spüren das ja selbst: Erst, nachdem wir etwas für eine Zeit nicht mehr gesehen haben, nehmen wir es wieder bewusster wahr.“
Historische Fastentücher zeigen meistens den Leidenszyklus Jesu, häufig ergänzt um Bilder aus dem Alten Testament, wie etwa die Schöpfungsgeschichte oder den Angriff von Kain auf seinen Bruder Abel.
In der Pfarrkirche St. Andrä wird das Fastentuch Michael Hedwigs am Karsamstag abgenommen. „Bis zum Auferstehungsgottesdienst steht dieser Tag noch im Zeichen der Trauer und des Wartens. Diese Ungeduld erleben wir jedes Jahr aufs Neue.“ Troyer war kürzlich auf dem Drauradweg bis nach Kärnten unterwegs. „Dort waren sogar die Kreuze am Wegesrand verhüllt.“