Noch tobt das Duell um die Deutungshoheit: Ist es eher bemerkenswert, dass ein Drittel der Tiroler klar für Zuwanderung ist oder dass ein Fünftel sie deutlich ablehnt? Formal betrachtet sind diese Ergebnisse des Integrationsmonitors gleichwertig. Doch die Kommunikation erzeugt eine klare Abstufung: Wer die Gegner in den Vordergrund rückt, signalisiert, sie seien eine unerwartet große Gruppe. Also gelte es sie stärker zu berücksichtigen. Wer sich auf die Befürworter konzentriert, winkt mit einem Zaunpfahl, der massiver als vermutet wirkt. Deshalb müsse mehr auf sie gehört werden. Für die Nennung beider Lager in einem Atemzug sind die gängigsten Schlagzeilen, Ton- und Bild-Informationen meistens viel zu kurz.

Trotz vordergründiger politischer Diskussion um Migration tickt die wahre gesellschaftliche Zeitbombe erst in einer tieferen Region des Tiroler Integrationsmonitors. Er wird alle zwei Jahre unter Leitung von Christoph Hofinger erstellt. Dessen Institut heißt nun Foresight statt SORA. Die größere Veränderung seit der Befragungswelle 2021 ist aber die grundsätzliche Stimmung. Noch mitten in der Pandemie sah erst ein Viertel der Bevölkerung mit wenig Zuversicht in die Zukunft. Seit Herbst gibt es ein massives Stimmungstief. Finanzielle Sorgen haben den Anteil der Pessimisten auf 53 Prozent anwachsen lassen.

„ÖVP und SPÖ haben eine Galgenfrist“

Solch depressive Rahmenbedingungen sind Gift für alle Regierenden. Einer der wichtigsten Faktoren für Wahlentscheidungen ist die Antwort darauf, ob es dem Stimmbürger besser als beim letzten Mal geht. Falls schlechter, entscheidet er sich eher gegen eine Koalition und für Vertreter der Opposition. In Tirol erhält diese negative Stimmung auch Datennahrung: Das Land ist seit der Covid-Krise im EU-Vergleich der regionalen Wirtschaftskraft zurückgefallen. 2022 konnte es beim Brutto-Inlandsprodukt pro Person zwar wieder etwas aufholen, rangiert aber nun klar hinter Vorarlberg, mit dem es zuvor Kopf an Kopf lag. Die Nachbarn Oberbayern, Salzburg und auch Südtirol sind ohnehin schon lange enteilt.

Überwiegender Pessimismus hilft vor allem Protestparteien. Schwarzrot in Tirol wird heuer „Erste Reihe fußfrei“ erleben, was das für Salzburg, den Nationalrat, Europa und die USA heißt – von Kommunisten und Bierpartei bis zu Wagenknecht und Trump. Migration und Integration sind nur Teilaspekte. Das wichtigste Ziel von Regierungspolitik ist die Stärkung des Optimismus in der Bevölkerung. Die Koalition von ÖVP und SPÖ in Tirol hat dafür eine Galgenfrist. Bis zur nächsten Wahl sind dreieinhalb Jahre Zeit.

Peter Plaikner ist Politikanalyst und Medienberater mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten 
Peter Plaikner ist Politikanalyst und Medienberater mit Standorten in Tirol, Wien und Kärnten  © KLZ