"Groß ist er nicht, der Daniel", sagt Wirt Sepp Lugger. "Aber schöne Augen hat er", findet Hotelierin Eva-Maria Oberluggauer. "Und plötzlich hat’s einen Rums gemacht", weiß Ortsfeuerwehrkommandant Hans Obererlacher. Die Erinnerungen sind in den Köpfen der Osttiroler und Kärntner Lesachtaler eingebrannt, von den Tagen, in denen der berühmteste Geheimagent der Welt in Osttirol gastierte. Auch wenn er keinen allzu gemütlichen Aufenthalt hatte: Daniel Craig alias James Bond landete seine Norman-Islander-Maschine bruch, lieferte sich zuerst eine Schießerei mit Dave Bautista und dann eine Diskussion mit Léa Seydoux.
Gedreht wurden die wenigen Filmminuten über mehrere Wochen. Ein 300-köpfiges internationales Team reiste an und stellte die sonst so besinnliche 666-Seelen-Gemeinde komplett auf den Kopf – höchste Geheimhaltungsstufe inklusive. Immerhin drehte man ja quasi "im Auftrag Ihrer Majestät".
Rund um den Dreh entstanden Anekdoten, die die Obertilliacher heute noch schmunzeln lassen. So haben sich die "Tillga" und die Filmcrew bestens verstanden, trotz Sprachbarrieren. "Die einen konnten kein Englisch, die anderen kein Deutsch. Doch das hielt niemanden davon ab, den ganzen Abend zu erzählen und zu lachen", erklärt Bürgermeister Matthias Scherer.
Nicht selten sollen dabei reichliche Mengen Alkohol im Spiel gewesen sein. Nie dabei in der geselligen Runde waren die Schauspieler Craig, Seydoux, Bautista & Co. "Kaum war eine Szene beendet, wurden sie gleich weggefahren oder -geflogen", weiß Seniorwirt Sepp Lugger vom Gasthof Unterwöger. Alfons Niederwieser erlebte während der Dreharbeiten eine Art Zeitreise. "Unser Haus wurde komplett in Holz verkleidet, um sich authentisch einzugliedern", erzählt der Nachbar des Bondhauses. Nur durch die Vorhangspalten konnten die Hausbewohner das Geschehen beobachten. Immerhin lernten sie Daniel Craig kennen, als er zum Aufwärmen und um das WC zu benutzen ins Haus kam. "Sehr höflich, der Daniel", erzählt Niederwieser.
Vereinzelt besuchen das Obertilliacher Tourismusbüro noch immer Gäste, die Fragen zu Bond und den Drehplätzen haben. Hansjörg Schneider zückt dann seinen Stift, die Ortskarte und beginnt einzuzeichnen. Doch der große Ansturm blieb aus. Ein signifikantes Nächtigungs- oder Umsatzplus konnte man in Obertilliach seitdem nicht verzeichnen. Man hat dafür aber auch wenig getan. Wer an den Bond-Schauplatz Sölden denkt, dem fällt das imposante "007 Elements"-Museum auf dem Gaislachkogel ein. "Und das Museum lebt von Obertilliach. Dort sieht man einen Flieger und die Szenen von unserem Dorf", erzählt Scherer.
Und in Obertilliach? Information, Werbung, Statussymbole? Irgendwas, das auffallend an Bond erinnert? Nichts. Nachgefragt bei den Verantwortlichen in Obertilliach wird in erster Linie mit dem Abtragen des Bondhauses aus vertragsrechtlichen Gründen argumentiert – aber auch aus statischen Gründen.
"Das Haus war eine Kulisse, es hätte keinen Obertilliacher Winter überlebt", wirft Scherer ein. Ideen für eine interaktive Handylösung via QR-Code, in der das Bond-Haus am Handybildschirm wieder zum Leben erweckt wird, bestanden, doch wurden sie nie umgesetzt. Gemeinde und TVB konnten sich hier offenbar nicht einigen.
Jedoch scheint das in Obertilliach aber auch kaum jemanden mehr zu stören. "Wir müssen nicht das James-Bond-Dorf sein", sagt Scherer und fügt hinzu: "Wir identifizieren uns lieber als Bergdorf mit unserem Nachtwächter, der in dieser Form einzigartig ist." Außerdem hat man mit den immensen Waldschäden in Obertilliach durch Sturm, Schnee und Borkenkäfer derzeit gerade ganz andere Sorgen. Und dieser Auftrag unterliegt keiner Geheimhaltung, hat jedoch ebenfalls die größte Brisanz.