Heute, am Heiligen Abend, auch Christvilge genannt, geht es im Lesachtal besonders geschäftig zu. Bis zu Mittag muss alles fertig sein. Denn, so sagt man, wer an diesem Tag mit der Arbeit nicht rechtzeitig fertig wird, bleibt das ganze kommende Jahr mit seiner Arbeit „hintenaus“. Zum Mittagstisch gibt es nach alter Überlieferung Suppe und „Stockplattlan“. Eine Speise, die es im Jahr nur einmal gibt.
Dem Weihnachtfest ist früher vier Wochen Fasten durch den Advent vorausgegangen. So waren die „Stockplattlan“ die erste süße Speise. Süßes war früher, wegen der hohen Zuckerpreise, ein Luxusgut und gerne die Krönung von Mahlzeiten oder die Hauptmahlzeit selbst. „Wir haben immer so viele Plattlan gebacken, wie Personen im Haus wohnten und vielleicht einige Stück mehr“, erinnert sich die 93-jährige Veronika Windbichler aus Obergail bei Liesing, „und das was wir am Heiligen Abend nicht geschafft haben, wurde über die Feiertage gegessen“. Der Germteig aus Weizenmehl, Milch, Eiern und Hefe wird erstmal fest in einer Schüssel geknetet und dann eine Stunde gehen gelassen. Anschließend werden daumendicke, tellergroße Fladen gewalkt. Bevor die Plattlan im heißen Fett herausgebacken werden, sticht man mit einer Gabel Löcher in den Teig. Das Besondere an diesem Gebäck ist die Fülle. Diese besteht aus Bockshörndlmehl (=Johannisbrotmehl bzw. Karobemehl), Kletzen (gedörrte Birnen), Mohn, den die Bauern selber angebaut haben, Zucker oder Schwarzbeermarmelade und Wasser. Jede Hausfrau hat ihr eigenes Rezept.
Heute nicht mehr so üppig
Zum Abschluss wird der Stock noch einmal mit viel zerlassener Butter übergossen, sodass sich, wenn die Butter erstarrt, durch das Herabrinnen an den Rändern der Stockplattlan kleine Buttertropfen bilden. Heute sind die Stockplattlan nicht mehr so groß, werden auch nicht so üppig gefüllt und mit Butter übergossen.
Früher durfte während des „Heiligen Mittagmahles“ kein Besuch kommen. Man glaubte nämlich, dass sonst einer aus der Familie im kommenden Jahr sterben würde. So hat man vor dem Mittagessen die Tür abgeschlossen. Kräht während des Essens der Hahn, wird jemand aus der Familie im Neuen Jahr heiraten. In vielen Häusern wurde beim Mittagsmahl eine Pfanne mit geweihten Kräutern, Weihrauch und Holzglut unter den Tisch gestellt um dieses Essen unter besonderen Segen zu stellen.
Diese weihnachtliche Süßspeise dürften die Lesachtaler von ihren Tiroler Nachbarn übernommen haben. In früheren Zeiten betrieben die Lesachtaler mit den Tirolern (heute Ost- und Südtirol) enge Handelsbeziehungen. Die Lesachtaler Musikantentracht, die Architektur der alten Bauernhäuser und der Dialekt sind heute noch Zeugen davon.
In Osttirol gibt es den Blattlstock
Überlieferungen besagen, dass der Blattlstock auf die Germanen zurückgeht. In den Osttiroler Heimatblättern finden sich Aufzeichnungen dazu – etwa aus der germanischen Mythologie und Philologie. Demnach feierten die Germanen zur Zeit der längsten Winternächte das Gedächtnis der Toten. Und zu Ehren der Geister der Verstorbenen gab es feierliche Opfermahlzeiten. Aus dieser Zeit dürfte das „Heilige Mahl“, wie 1924 in den Osttiroler Heimatblättern festgestellt, stammen, das in Osttirol nur am Heiligen Abend gehalten wurde. Dabei durfte nicht fehlen, was schon bei den Totenopfermahlzeiten der Germanen üblich war – die Erbsensuppe, das Mus mit Mohn und Blattlen oder Krapfen in verschiedenen Formen.
Und eben in Osttirol gehörte der Blattlstock dazu: „Hochaufgetürmte Krapfen, in Zucker oder Honigwasser getränkt, im heißen Schmalz gebacken, mit Mohn übersät und erst noch mit Zuckerwasser und Schmalz überschüttet“, heißt es in den Heimatblättern. Wie ein Hausheiligtum sei der Blattlstock während der Weihnachtszeit in der Stube gestanden und nach jeder Mahlzeit auf den Tisch gewandert - „bis er schließlich mit Ende der Festzeit den Weg alles Irdischen gegangen ist“. Der Blattlstock ist im ganzen deutschsprachigen Raum unbekannt, entnimmt man den chronischen Aufzeichnungen. Nur beim Julfest in Schweden habe es Ähnliches gegeben.