Guntschach, vier Uhr morgens. Die ersten Lichter in den Häusern der 70-Seelen-Ortschaft gehen an. Seit nunmehr drei Monaten eineinhalb Stunden früher als sonst. Denn seit Mitte Dezember befindet sich die Ortschaft bei Maria Rain regelrecht in einem Ausnahmezustand, abgeschnitten von der Außenwelt. Seit einem Felssturz ist die einzige Verbindungsstraße, die aus dem kleinen Ort nahe der Drau hinausführt und wieder hinein, blockiert. Aktuell verbindet nur ein (holpriger) Notweg, den die Guntschacherinnen und Guntschacher übrigens auf eigene Gefahr benützen, den Ort mit dem Rest der Welt. Für jeden Weg, den man außerhalb von Guntschach zu erledigen hat, muss man fast eine Stunde mehr in Kauf nehmen.
Die Bevölkerung ist verzweifelt. Denn ein Ende der Situation ist nicht in Sicht. "Meine Mutter, die eigentlich bei uns wohnt, hielt es hier nicht mehr aus, sie ist mittlerweile weggezogen", erzählt Brigitte del Fabro. Übrigens, kaum ein Besucher "verirrt" sich mehr nach Guntschach. "Meine Eltern sind fast jedes Wochenende zu uns auf Besuch gekommen", erklärt Martina Povoden. "Seitdem es den Notweg gibt, waren sie zweimal hier." Aus diesem Grund haben sie auch erst zweimal ihre Enkelin Melina gesehen. Melina kam am 20. Jänner, also nach dem Felssturz, zur Welt. Ihre Geburt gestaltete sich abenteuerlich – und war ein Risiko für Mutter und Kind.
"Mein Schwager brachte mich zur Fähre", lässt die junge Mutter die bangen Stunden Revue passieren. Mit dieser setzte die Hochschwangere bei klirrend niedrigen Temperaturen über die Drau. "Dann habe ich eineinhalb Stunden im Fährhäuschen auf die Rettung gewartet." Zum Glück ist nichts passiert, Mutter und Kind waren gleich nach der Geburt wohlauf.
Keiner will darüber nachdenken, was ist, wenn was passiert. So wie bei Herbert Hummer: "Ich habe eine Herztransplantation hinter mir." Ein Transport über den Notweg mit dem Rettungswagen würde Stunden in Anspruch nehmen. Die einzige Lösung wäre der Rettungshubschrauber. Denn das Rettungsauto, das eigens im Ort abgestellt war, ist Ende Jänner von heute auf morgen verschwunden. Nur das Feuerwehrauto steht – für den Fall der Fälle – noch an Ort und Stelle.
40 Minuten Fahrzeit für sechs Kilometer Luftlinie
"Jeder Tag, jede Woche muss genau durchorganisiert werden", erzählt Povoden aus ihrem Alltag. "Das Schlimmste, was einem passieren kann, ist, wenn man den Einkaufszettel zu Hause vergisst." Denn knapp 40 Minuten fährt die gelernte Krankenschwester zum Einkaufen – weitere 40 Minuten wieder zurück. Aufgrund des enormen Zeitaufwandes kann ihr Sohn auch nicht am Vereinstraining teilnehmen. Hummer, der eine Hundezucht betreibt, musste mit einem seiner Vierbeiner zum Tierarzt. "Da sitze ich eineinhalb Stunden im Auto, bin zehn Minuten in der Praxis, dann wieder eineinhalb Stunden zurück. Und das mehrmals die Woche", erzählt er. Otto Sattmann, Inhaber der Pizzeria "O-sole-mio" in Maria Rain, braucht für den Weg in seinen Betrieb knapp 40 Minuten – normalerweise über die Guntschacher Straße, nicht einmal zehn.
Es ist aber nicht nur der Zeitaufwand, der den Guntschachern zu schaffen macht. Auch die Mehrkosten schlagen sich mittlerweile zu Buche. "Allein für Benzin gebe ich pro Auto 260 Euro mehr im Monat aus", weiß Christian Webernig. Ganz abgesehen von der Abnützung. "Mir ist schon eine Feder gerissen", erzählt Hummer. Einem anderen Nachbarn hat es die Bodenplatte aufgerissen. Schaden: 5000 Euro. "Wer das bezahlen wird, weiß keiner", fragen sich die Guntschacher.
Mittlerweile geht es bei der Situation aber auch schon um Existenzen. Webernigs Eltern betreiben eine 35 Hektar große Landwirtschaft. "Wir konnten das Wintergetreide nicht ernten, weil wir es nicht wegbringen. Gleiches gilt für die Lieferung von Holz. Unsere Kunden werden dann halt woanders ihr Holz kaufen", erzählt der Hobby-Landwirt. Schuld daran ist die Gewichtsbeschränkung von sechs Tonnen für den Notweg. Mit Bangen blicken die Menschen aus Guntschach aber auch schon auf den nächsten Winter. "Ich habe beispielsweise keine Pellets mehr", so del Fabro. Eine Lieferung ist, dank der Gewichtsbeschränkung, eben nicht möglich. So geht es auch vielen Nachbarn der Angestellten.
Es ist aber vor allem die Ungewissheit, die an den Nerven zerrt. "Es sind hundert Tage vergangen und nichts ist passiert", ist Rupert Pogoriutschnig erzürnt. "Uns wurde gesagt, dass wir bis Mai mit der Herstellung der alten Straße rechnen können. Davon sind wir aber weit entfernt." Der Hemmafelsen, von dem besagter Felssturz ausging, soll saniert werden. Bürgermeister Franz Ragger (SPÖ) versucht zu beruhigen: "Es geht leider nicht alles von heute auf morgen."