Von der Pflegeschwester gibt es ein Mini-Briefing, bevor das Gespräch beginnt. „Der Herr wird ein paar Fragen zu Ihrem Leben stellen und Sie erzählen einfach“, sagt sie mit erhöhter Lautstärke zu Schwester Maria. Obwohl die Ohren nicht mehr ganz mitspielen, versteht sie ihre Aufgabe ganz genau. Sie erzählt.
Doch wo beginnt man, wenn man auf 106 Jahre zurückblicken kann? Natürlich am Anfang. Am 7. Dezember 1917 erblickte Maria Nopp als drittes von fünf Kindern das Licht der Welt. In Oberösterreich, denn ursprünglich stammt die älteste Klagenfurterin aus Linz. Nopps Vater Michael war Schulwart in einer Bildungsanstalt, die ganze Familie lebte im Schulgebäude. „Ich fühlte mich wie eine Prinzessin“, erzählt sie. Am Abend und an den Wochenenden wurde die große Schule zu ihrer Bühne, lief sie lauthals singend durch ihren Prinzessinnen-Palast. Ihr Märchen fand im zarten Alter von 17 mit dem Tod ihres krebskranken Vaters ein Ende. Die Familie musste in ein kleines Siedlerhaus ziehen. „Es war alles zu eng, die Decke fiel mir auf den Kopf.“
Kein Zwerg
„Erzählen Sie die Geschichte mit dem Kindergarten“, füttert die Pflegerin die 106-Jährige mit einem Stichwort. Nopp lacht herzlich, wie vor jeder Anekdote, und erzählt: „Im Kindergarten habe ich nichts aus mir herausgebracht.“ Erst als sie in einem Theaterstück die Rolle des Zwergs spielen hätte müssen, brach es aus ihr heraus. „Nein, ein Zwerg bin ich nicht!“, sagte sie damals, und lacht erneut.
Humor ist das Geheimnis ihres langen Lebens. Das Wort Aufgeben existiert in ihrem Wortschatz nicht, egal ob auf Deutsch oder Französisch. Die Sprache erlernte sie in Frankreich, wohin sie im Zweiten Weltkrieg als junge Ordensnovizin aus Sicherheitsgründen ziehen musste. Kurz vor Kriegsbeginn trat sie dem Ursulinenorden bei. Kein anderer Orden, kein anderes Leben kam für sie infrage.
Hochzeitspläne gingen nicht auf
Als sie sich nach der Matura an der Lehrerinnenbildungsanstalt entschloss, ins Kloster zu gehen, war die Aufregung groß. Ihre Familie stellte ihr Männer vor, mit denen sie sich plötzlich alleine im Raum fand. „Das wird nichts, ich gehe ins Kloster“, sagte sie den potenziellen Ehepartnern direkt ins Gesicht. „Die bleibt nicht lange im Kloster, die lacht zu viel“, versuchte ihr damaliger Deutschprofessor, Nopps Mutter zu besänftigen. Schwester Maria belehrt alle eines Besseren.
Und das ihr Leben lang. Nach Kriegsende kehrte sie in die Ordensschule nach Linz zurück und unterrichtete die Fächer Deutsch und Musik. „Ich war streng, das war bekannt.“ Über die Schulgrenzen hinaus war ihr Deutschunterricht publik. Ihre Schüler waren im Nachhinein aber stolz, bei Rechtschreibung und Grammatik sattelfester als andere zu sein. Nopps Musikstunden galten dafür als Erholungsstunden, erzählt sie, und summt ihr Lieblingslied „Werst mei Liacht ume sein“.
Ihr Fanclub denkt an sie
Ihr Unterricht hinterließ Eindruck, wie ein Blumenbouquet am Tisch vor Nopp beweist. Diesen erhielt sie vor wenigen Tagen von einer ehemaligen Schülerin zum Geburtstag. Sowohl aus Linz, wo sie ab 1959 das Internat leitete, als auch aus Klagenfurt, seit der Kloster-Schließung in Linz im Jahr 1968 ihr Zuhause, trudeln regelmäßig Grußkarten von ihrem „Fanclub“ ein. Für viele war sie mehr als nur eine Lehrerin. Martha Maria wird sie in den Postkarten genannt.
Sie sind die letzten leibhaftigen Verbindungen in die Vergangenheit. Nopp hat nur noch einen einzigen Verwandten, ihren schwer kranken Neffen Manfred. Gerne erzählt sie von ihren Brüdern, zum Beispiel von Josef, der sie im Kloster ein letztes Mal besuchte, bevor er im Zweiten Weltkrieg vermutlich in Nordafrika fiel. Ihre Mutter Theresia wurde ebenfalls über 100 Jahre alt, „ich habe sie aber schon überholt“, sagt Nopp ganz frech. Immer wieder erwähnt sie ihren Vater, zu dem sie eine enge Bindung pflegte. „Ich bin froh, dass ich damals meiner Mutter helfen durfte“, erzählt sie von den letzten Tagen mit ihm. Dass sie ihn in den Stunden vor seinem Tod begleiten durfte, macht die aufopfernde Schwester stolz. Das Wohl anderer über das eigene zu stellen, ist seit 106 Jahren ihr Credo.
Findet sie dann doch einmal Zeit für sich, liest sie. Entweder Bücher auf Französisch, oder die Tageszeitung. „Ich will wissen, was draußen los ist. Das muss sein.“ Am Abend wird gesungen und gebetet, bevor es im Konvent am Heiligengeistplatz ins Bett geht. „Ich hätte nie gedacht, dass ich so alt werde. Das ist einfach so gekommen“, sagt sie. Weit vorgeplant wird nicht. Sie schreitet Tag für Tag durchs Leben.