Wenn man 15 Jahre in der Neurologie gearbeitet hat, fällt einer Mutter sofort auf, wenn beim eigenen Kind etwas nicht stimmt. „Ich habe schon im zweiten Lebensmonat von Lisa Kontakt mit einem Neurologen geknüpft, so entstand der erste Verdacht auf spinale Muskeldystrophie“, schildert Lisas Mutter die erste schwierige Zeit. Ein Gentest gab dann Gewissheit, dass ihr Mädchen an einem ganz seltenen Gendefekt litt, der ganz große Auswirkungen auf die Entwicklung von Lisa hat.

Lisa kann sich nicht umdrehen, hat keine Kopfkontrolle. Der Mutter war schnell klar, dass therapeutisch so viel wie möglich gemacht werden muss. Liebevoll hat sie ihre Tochter im Gesicht massiert. Dadurch kann Lisa heute passierte Nahrung essen, und zwar allein mit Besteck. Ein Meilenstein für ihre Unabhängigkeit. Sie kann kauen, was auch nicht selbstverständlich schien. Physiotherapie gab es vom Babyalter an sowie Logopädie, bei der die tapfere Kämpferin lernte, die Zungenstellung zu stabilisieren, um vermehrten Speichelfluss zu dezimieren.

Da Lisa nicht die Muskelkraft hat, sich im Bett selbst zu drehen, lagern ihre Eltern sie mehrmals in der Nacht um. Und Lisa hat die beste Schwester der Welt, ihre Betten sind zusammengeschoben. Marie wird oft von den Eltern gefragt, was sie alleine unternehmen will, aber Marie will immer Lisa dabei haben. Mit Rollstuhl oder den A-Schienen mit integrierter Kopfstütze, die Lisas kleinen Körper aufrecht stützen. „Das ist für ihre Organe ganz wichtig, einige Stunden täglich in der Senkrechten und nicht immer in der Horizontalen zu sein“, weiß die Mutter. Lisa hebt ein Ärmchen und winkt dem Besuch ganz zart entgegen. Dann widmet sie sich ihrem bunten Bilderbuch, das auf einem fahrbaren Tischchen vor ihr liegt, klopft auf die Figuren und sagt fröhlich „da, da, da“. Sie ist eine zerbrechlich wirkende, entzückende Erscheinung. Dann und wann legt sie Arme und Köpfchen auf den Tisch, als würde sie sich ausruhen wollen. Die Mutter hebt Lisa vorsichtig aus der Schiene, um sie auf ihren Schoß zu setzen: „Sie kann nicht selber sitzen.“

Maries Empathie verdankt Lisa, dass sie trotz ihrer extremen Zartheit gewohnt ist, alles mitzumachen. Sei es im Trampolin zu liegen und herzhaft zu lachen wegen der Erschütterungen - „je wilder, desto lieber“, so die Mutter. „Es ist uns wichtig, dass sie so eine normale Kindheit hat wie möglich. Wir lassen uns von nichts abschrecken - geht nicht, gibt es nicht!“, zeigt die junge Mama enorme Durchsetzungskraft. Die auch nötig ist, denn Lisa braucht teure Therapien, die nur in einem Reha-Zentrum in Österreich angeboten werden. „Diese Therapie hat uns so viel weiter gebracht, plötzlich kann Lisa auf Dinge zeigen, das erleichtert ihre Kommunikationsmöglichkeiten enorm. Sie kann Wünsche äußern!“, schildert die Mutter. Lisa hat sogar gelernt, Worte deutlich zu artikulieren, Nein und Ja gehen schon sehr gut. „Dadurch steigt ihre Selbstbestimmung“, ist ihre Mutter stolz auf die Entwicklung ihrer Tochter, „Sie ist eine totale Ehrgeizlerin“. Bei ihren Therapien halte sie auch drei Stunden durch, erzählt die Mutter von der Kinder-Reha. Der Therapeut arbeite dort mit Seilen und kleinen Gewichten und mit Gehirnstimulation durch Musik. Die Eltern möchten ihrer kleinen Tochter diese Intensivtherapie wieder zuteilwerden lassen. Die Krankenkasse übernimmt nur einen kleinen Teil. Geplant ist auch ein barrierefreier Badezimmerumbau. Ein Elektroantrieb für Lisas Rollstuhl wird einmal notwendig, kurzfristig ein Reha-Buggy, weil dieser besser geländegängig ist als der Rolli.

Lisa liebt Musik und das Musikmachen, sie kann mittlerweile eine kleine Blockflöte bedienen. Alles keine Selbstverständlichkeit, wenn die Muskeln nicht mitspielen wollen. Aber nach Lisas Pfeife tanzt die ganze Familie liebend gerne!

* Namen und persönliche Daten von der Redaktion geändert