Er isst nicht. Oder er hockt sich unter den Tisch und isst nur dort. Und nur das, was er will. Er muss alles zerquetschen und spuckt es aus, wenn es ihm nicht schmeckt. Er ist nicht zu überzeugen, übliche Mahlzeiten oder Essenszeiten zu akzeptieren. Silvio* ist anders.
Wenn ihm etwas im Weg steht, wirft er es um, egal, ob Blumen oder Gläser. Weil es da nicht sein darf. Alles muss an seinem Platz sein. Wenn sich ihm jemand in den Weg stellt, wehrt er sich mit Tritten oder Fäusten. Er muss das tun, weil seine Nervenzellen falsch miteinander kommunizieren und Sinnesdaten fehlerhaft verarbeitet werden. Silvio ist Autist, charakterisiert durch gestörte soziale Interaktion und stereotype Verhaltensweisen. „Aber er ist nicht böse“, betont seine Mutter, die während der Schwangerschaft eine schwere Infektion erlebte und vier Monate lang um ihr Frühchen, das beatmet werden musste, bangte.
Schon im Brutkasten sei Silvios Ess-Abneigung entstanden, vermutet sie. Denn bei der Ernährung mit Sonde durch den Mund habe er immer gewürgt und erbrochen. „Zuhause mochte er nicht aus der Flasche trinken, hat kaum gesaugt und immer wieder erbrochen. Dann bekam er Medikamente gegen das Erbrechen.“ Bis zum Alter von drei Jahren konnte das Baby nicht beißen, war dünn und gelb im Gesicht. In einer Esslernklinik in Graz begann Silvio langsam, Stückchen zu essen. „Das war für uns die größte Freude“, erinnert sich die leidgeprüfte Mutter.
Lange keine Diagnose
Im Integrationskindergarten, wo niemand Zeit hatte, ihn zu füttern, warf Silvio das Essen auf den Boden und das Spielzeug an die Wand. Er wurde suspendiert. Lange Zeit erhielten die Eltern keine Diagnose, erst kurz vor Schuleintritt wurde von einem Spezialisten Autismus mit ADHS-Symptomen festgestellt. Nach Monaten begannen Medikamente zu wirken. Silvio fühlte sich plötzlich in der reformpädagogischen Schulklasse, wo jedes Kind eine Schulbegleiterin hat, wohl. Seine Lehrerin, eine Sonderschulpädagogin, mag er und hat nur mehr selten das Bedürfnis, sie zu treten. Essen darf er in einem Nebenraum unter dem Tisch.
„Er ist sehr gescheit. Er kann zwar nicht rechnen, wohl aber Buchstaben lesen und spricht Englisch“, erzählt seine Mutter. „Er kennt jedes Autokennzeichen, das er einmal gesehen hat, auswendig und merkt sich sehr schnell alles, was er gehört hat“.
Silvio kann seine Impulse heute viel besser kontrollieren. „Mama, ich muss sie hauen“, sagte er anfangs, als die Familienintensivbetreuerin kam. Aber jetzt liebt er sie und macht gerne Ausflüge mit ihr. „Wenn er den Zwang zu hauen spürt, setzt er sich auf seine Hände“, schildert seine Mutter. „Er will laufen und klettern, liebt Wasser, will schwimmen und springen. Wenn er Bewegung machen kann, ist er brav.“ Zum Schlafen hat Silvio eine schwere Gewichtsdecke. „Nur mit ihr liegt er ruhig“, weiß die Mutter, die selbst wenig Schlaf findet, weil sie sich oft zu ihm legen muss. „Er liebt es, mit mir zu kuscheln.“ Neben Logopädie und Ergotherapie macht Silvio jetzt eine Ess-Therapie in einem Spezialinstitut, wo er in einem Box-Raum auf der Matte essen und Plastikbecher werfen darf. Er habe dort viele Fortschritte gemacht, freuen sich seine Eltern.
Kredit aufgenommen
Allerdings habe er sich im Sommer angewöhnt, draußen unter einem Tisch zu essen und wollte dann nicht mehr ins Haus. Leider typisch für sein zwanghaftes Verhalten. Die Eltern haben einen Kredit aufgenommen, um den Außenraum zu überdachen und zu beheizen, damit ihr Sohn isst. Auch die Esstherapie ist eine große finanzielle Belastung, weil auch die Privatversicherung sie nicht übernimmt. Doch die Eltern wünschen ihrem Kind die erfolgversprechende Behandlung, bis sich sein Essverhalten normalisiert hat. Mit Unterstützung durch „Kärntner in Not“ könnte dies gelingen.
* Namen und persönliche Daten von der Redaktion geändert
Elke Fertschey