Schlaflose Nächte, viele Tränen. Die Sorgenfalten von Sigrid Witasek (45) aus Feldkirchen waren nicht zu übersehen, als im Herbst des Vorjahres der Eintritt ihrer Tochter Justina in die Volksschule anstand. Im Kindergarten hatte sich die Sechsjährige nämlich schon perfekt eingelebt, fühlte sich aufgehoben und geborgen. Nicht selbstverständlich, denn Justina hat Trisomie 21, das Down-Syndrom - kurz, Justina hat besondere Bedürfnisse.
"Und heute bin ich einfach nur glücklich, die Sorgen waren unbegründet, Justina fühlt sich in der Schule wohl", sagt Witasek, die dem pädagogischen Team der Volksschule Feldkirchen Rosen streut. "Justina ist perfekt versorgt, sie geht jeden Tag mit Freude in die Schule, in der ausgezeichnete Arbeit geleistet wird." Justina besucht eine reguläre Ganztagsklasse, hat dort mit Anna Hauser, die ganz allein nur für sie da ist, eine Schulassistenz, als eigene pädagogische Betreuerin, Justinas Lehrerin ist Anja Rindler, die Integrationslehrerin Waltraud Egger.
"Inklusion, wie sie sein sollte", meint Direktorin Barbara Kullnig. Schülerinnen und Schüler, Lehrpersonal, Elternteile, alle am Standort würden den inklusiven Gedanken in sich tragen, das Resultat sehe man direkt vor Ort. "Justina ist ein Gewinn für die Klassengemeinschaft. Ihr freundliches und offenes Wesen wirkt sich auf die gesamte Klasse aus. Sie kennt die Abläufe, hält die Klassenregeln ein und lernt mit Begeisterung Buchstaben und phonomimische Zeichen", sagt Kullnig.
Die Sechsjährige ist der "kleine Star" in ihrer Klasse, um den sich ihre Mitschülerinnen und Mitschüler liebevoll kümmern. Vielleicht auch von einem Beschützerinstinkt geleitet, denn körperlich kann Justina mit dem Rest der Klasse nicht mithalten. Knapp einen (stolzen) Meter ist sie groß, zu ihren Freundinnen und Freunden muss sie stets aufschauen.
Seit sechs Jahren begleitet die Kleine Zeitung die junge Dame, um zu zeigen, wie sich ihr Leben entwickelt, was sich verändert. "Es geht uns wirklich gut, auch wenn es Baustellen gibt", sagt Witasek. Eine solche Baustelle ist Justinas (bislang) noch sehr unterentwickelte Sprachfähigkeit. Deshalb wird versucht, viel in Gebärdensprache zu kommunizieren. "Dagmar Schnepf, eine Gebärden-Nativ-Speakerin, kommt regelmäßig in die Klasse, um mit Justina und den anderen Kindern zu üben", sagt Witasek.
"Durch Justina erlernen auch ihre Mitschülerinnen und Mitschüler spielerisch die Gebärdensprache – eine Besonderheit im Schulsystem", bestätigt Direktorin Kullnig. Heißt im Umkehrschluss: Wenn Justina sich mit Gebärden verständigen kann, wäre es hilfreich, wenn auch die Familie zu Hause mit diesen Gebärden etwas anfangen könnte. "Deshalb haben wir gerade alle zusammen einen Gebärden-Kurs belegt", sagt Witasek, die Mikroelektronik studiert hat und 20 Stunden pro Woche bei Infineon arbeitet, mit einem Schmunzeln.
Mit "wir" meint sie übrigens sich und den Rest der familiären Truppe. "Die coolsten Socken, die es gibt", so bezeichnet Witasek ihre drei weiteren Töchter Gloria (12), Franziska (14) und Helena (9). Gloria und Franziska besuchen die RMS Feldkirchen, Helena geht noch in die Volksschule. Ohne die Hilfe, die Rücksicht der drei "großen Girls", würde "das Werkl nicht laufen". Wichtige Rückendeckung für die Mama von einem Trio, das es selbst nicht immer leicht hat. Justina braucht viel Aufmerksamkeit, auf die Gloria, Franziska und Helena notgedrungen manchmal verzichten müssen. "Aber wir sind eine verschworene Einheit und lachen viel", sagt Witasek.
Ein Lächeln im Gesicht hat auch Justina immer, wenn sie ein Mal pro Woche in der Feldkirchner Akademie Adler-Wiegele ihrem Hobby, dem Tanzen, nachgehen kann. "Und ab und zu darf sie auch beim Handball mittrainieren - ihre drei Schwestern sind nämlich beim Handballverein Feldkirchen aktiv", sagt Witasek mit Dankbarkeit für die Möglichkeiten, die Justina geboten werden. "Weil es eben nicht selbstverständlich ist."
Nicht nur im Leben von Justina hat sich in den vergangenen zwei Jahren viel getan, auch für Mama Sigrid Witasek stand ein Umbruch, eine Trennung an. "Seit zwei Jahren bin ich alleinerziehend." Wie bringt man diese ganz besondere Familie und den Job unter einen Hut? "Das geht nur mit einem verständnisvollen Vorgesetzten, sonst hätte ich keine Chance. Teilweise bin ich im Homeoffice, sonst räumt mir mein Chef so viel Flexibilität wie möglich ein."
Ein Mal pro Woche schaut Petra Fearrington als Freizeitassistenz von der AVS vorbei. "Sie holt Justina von der Schule ab, dann kann ich länger arbeiten", sagt Witasek, die sich für die Zukunft etwas wünschen würde: "Dass Kinder mit Behinderung automatisch ein Recht auf ein elftes und zwölftes Schuljahr haben. Derzeit ist man auf den guten Willen der Bildungsdirektion angewiesen."